Verfolgung Homosexueller im Dritten Reich
Zwischen 1933 und 1945 führte das NS-Regime eine Kampagne gegen männliche Homosexualität durch und verfolgte homosexuelle Männer. Im Zuge dieser Kampagne schlossen die NS-Behörden Bars und Treffpunkte für schwule Männer, löste deren Organisationen auf und verbot einschlägige Publikationen. Zehntausende homosexueller Männer wurden zudem auf Grundlage von Paragraf 175 des Strafgesetzbuches verhaftet und verurteilt. Selbst im späteren 20. Jahrhundert blieb es lange schwierig, die Geschichte homosexueller Männer zu erforschen, da Vorurteile gegen sie weiterhin Bestand hatten und der Paragraf 175 auch nach dem Krieg weiter angewandt wurde.
Wichtige Fakten
-
1
Bevor die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, gab es vor allem in den Großstädten eine lebendige Schwulenszene, obwohl sexuelle Beziehungen zwischen Männern unter Strafe standen.
-
2
Ab 1933 begannen die Nationalsozialisten, homosexuelle Gemeinschaften zu schikanieren und aufzulösen. Unter Anwendung von Paragraf 175, dem Gesetz des deutschen Strafgesetzbuchs, das sexuelle Beziehungen zwischen Männern unter Strafe stellte, wurden zahlreiche schwule Männer verhaftet.
-
3
Während der NS-Zeit wurden zwischen 5.000 und 15.000 Männer als Homosexuelle in Konzentrationslagern inhaftiert. In der Regel mussten sie den Rosa Winkel auf ihrer Häftlingskleidung tragen, der sie nach dem Klassifizierungssystem als homosexuell kennzeichnete.
Einführung
Zwischen 1933 und 1945 führte das NS-Regime eine Kampagne gegen männliche Homosexualität durch. Ziel war die Verfolgung von Männern, die sexuelle Beziehungen mit anderen Männern hatten. Es ist nicht festzustellen, wie viele dieser Männer sich öffentlich oder privat zu ihrer Homosexualität bekannten oder wie viele von ihnen schwulen Gemeinschaften und Netzwerken angehörten, die noch in der Weimarer Republik entstanden waren.
Ab 1933 begann das Regime, homosexuelle Gemeinschaften zu schikanieren und zu zerstören. Unter Anwendung von Paragraf 175 wurden zahlreiche schwule Männer verhaftet. Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuchs stellte sexuelle Beziehungen zwischen Männern unter Strafe. In der NS-Zeit verhaftete die Polizei etwa 100.000 Männer wegen mutmaßlicher Verstöße gegen dieses Gesetz. Etwa die Hälfte von ihnen wurde verurteilt. In einigen Fällen führte die Verurteilung zu einer Inhaftierung in einem Konzentrationslager.
Nicht alle Männer, die nach Paragraf 175 verhaftet und verurteilt wurden, betrachteten sich als schwul. Jedoch konnte unter der NS-Herrschaft jeder Mann, der eine sexuelle Beziehung mit einem anderen Mann unterhielt, potenziell verhaftet werden, ganz gleich, wie er sich selbst sexuell einordnete.
Die Homosexualität von Männern an sich stand in Deutschland nie explizit unter Strafe. Dennoch war das Leben für homosexuelle Männer aufgrund der Kampagne gegen sie und der rigorosen Umsetzung von Paragraf 175 durch das Regime gefährlich geworden.
Schwule Männer in Deutschland waren keine einheitliche Gruppe und das NS-Regime betrachtete sie auch nicht als solche. Die Tatsache, homosexuell zu sein, konnte zu Verfolgung führen, was oft auch der Fall war. Allerdings prägten auch andere Faktoren das Leben homosexueller Männer in der NS-Zeit. Dazu gehörten die mutmaßliche „rassische" Identität, politische Ansichten, ihr Rang in der Gesellschaft sowie kulturelle Erwartungen an das Verhalten von Männern und Frauen, also Geschlechternormen. Aufgrund dieser vielfältigen Aspekte konnten sich die Erfahrungen schwuler Männer in der NS-Zeit recht unterschiedlich gestalten. Dies betraf beispielsweise schwule Männer, die im politischen Widerstand aktiv waren und eine Verhaftung als politische Gegner riskierten oder jüdische Schwule, die wegen ihrer jüdischen Abstammung von den Nazis verfolgt und ermordet wurden.
Homosexuelle Männer in Deutschland um die Jahrhundertwende
Es gibt Hinweise darauf, dass sich Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts erste schwule Gemeinschaften in Deutschland entwickelten. Zu der Zeit wurde die menschliche Sexualität in Europa und in den Vereinigten Staaten zu einem Bereich der wissenschaftlichen Forschung und zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Deutschland war nicht zuletzt wegen der Debatten in Bezug auf Paragraf 175 Vorreiter dieser Entwicklung. Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuchs stellte sexuelle Beziehungen zwischen Männern unter Strafe. Er wurde 1871 infolge der Vereinigung des Deutschen Reichs und der Kodifizierung des deutschen Strafgesetzbuchs erlassen.
Die politischen und sozialen Bedingungen im Deutschland des 19. Jahrhunderts ließen es zu, dass sich die Menschen öffentlich für die Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern und die Abschaffung von Paragraf 175 aussprachen. Schließlich gingen einige Einzelkämpfer dazu über, sich in Gruppen zusammenzuschließen, um sich gemeinsam für eine Entkriminalisierung einzusetzen. Abgesehen vom Beitritt zu solchen Gruppen begannen Männer, die sich zu anderen Männern hingezogen fühlten, in Bars und an anderen Treffpunkten Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen. Daraus bildeten sich erste Netzwerke und Gemeinschaften.
In diesem Kontext begannen einige dieser Männer, sich mit neuen Begriffen zu beschreiben. Neben der umgangssprachlichen Bezeichnung „warmer Bruder“ gab es nun auch neue Terminologie. Dazu gehörten die Begriffe gleichgeschlechtlich und homosexuell. Letzterer stammt aus dem Jahr 1869 und wurde von einem Befürworter der Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern eingeführt, die er als Homosexualität bezeichnete. Weitere Begriffe von Reformisten waren „Urning“ oder drittes Geschlecht. Der neuere umgangssprachliche Begriff schwul (der im Englischen oft mit „gay“ übersetzt wird) wurde innerhalb bestimmter Gruppen immer beliebter.
Heute werden die Begriffe Homosexualität und homosexuell in bestimmten Kreisen als abwertend betrachtet. Damals jedoch gehörten sie in Deutschland und über die Landesgrenzen hinaus zum üblichen Wortschatz. Die neuen deutschen Begriffe wurden sowohl im Englischen als auch im Französischen übernommen. Mit der Zeit hielten sie auch Einzug in die internationale Terminologie über Sexualität. Die Begriffe sind zwar nicht mehr überall akzeptiert, waren jedoch frühe Versuche, diese sexuelle Neigung zu beschreiben. Ende des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert haben LGBTQ+-Communities eine neue Terminologie zur Beschreibung von Geschlechtern hervorgebracht.
Homosexuelle Männer in der Weimarer Republik (1918–1933)
Während der Weimarer Republik (1918–1933) konnten sich schwule Gemeinschaften und Netzwerke relativ frei entwickeln. Die Ära war geprägt von politischem Tumult und wirtschaftlicher Not, sie bot aber auch Raum für kulturelle und künstlerische Entfaltung. Vor dem Hintergrund der damaligen kulturellen und sozialen Veränderungen stellten die Menschen in Deutschland auch geschlechtliche und sexuelle Normen in Frage. Sex und Sexualität wurden zu Streitpunkten in Politik und Kultur. Dies war vor allem in Großstädten wie Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main der Fall.
Sex und Sexualität in der Weimarer Republik
Viele Deutsche begrüßten das weniger restriktive soziale, politische und kulturelle Klima der Weimarer Republik. Auch schwule Männer fanden Gefallen an der neuen Kultur. Einige Gruppen sprachen sich aktiver und offener für die Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern aus. Dazu gehörte etwa das 1897 gegründete Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) und der Bund für Menschenrecht (BfM), der in den 1920er Jahren ins Leben gerufen worden war. Sie kooperierten mit anderen reformfreudigen Gruppen, die sich für neue gesetzliche Regelungen für Prostitution, Geburtenkontrolle und Abtreibung stark machten.
Nicht alle Gruppen, die sich eine Entkriminalisierung wünschten, hatten dieselbe politische Perspektive. 1919 gründete der deutsch-jüdische Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld das international anerkannte Institut für Sexualwissenschaft in Berlin. Hirschfeld war Pazifist und Linker und so zog das Institut vorrangig Menschen an, die politisch eher links einzuordnen waren. Das Institut war Vorreiter in der Durchführung wissenschaftlicher Studien und klärte öffentlich über menschliche Sexualität auf. Es bot auch weitere Leistungen in Verbindung mit Sexualität an, darunter Geburtenkontrolle und Eheberatung.
Das Netzwerk homosexueller Männer, das sich um den Schriftsteller Adolf Brand und seine Gemeinschaft der Eigenen entwickelte, verfolgte hingegen einen anderen Ansatz. Brands Organisation nahm mit der Zeit eher rechte und nationalistische Züge an. Mit Blick auf die Entkriminalisierung bestand Einigkeit zwischen Brand und Hirschfeld. Beide förderten die öffentliche Diskussion über Sexualität. Allerdings vertraten sie unterschiedliche konzeptionelle und politische Ansichten in Bezug auf Geschlechter und Nationalismus.
Nicht allen Deutschen behagten die öffentlichen Diskussionen über Sex. Auch die Reformpläne fanden nicht überall Zustimmung. Für viele Menschen waren die Debatten Ausdruck dekadenter, zu freizügiger und unmoralischer Entwicklungen, die sie der Weimarer Kultur zuschrieben. Sie störten sich an der zunehmenden Sichtbarkeit von Sex in Werbung, Film und anderen Bereichen des Alltags. Verschiedene politische Gruppen des rechten Flügels und der Mitte sowie die konventionellen religiösen Organisationen versuchten, ihre eigenen Vorstellungen von deutscher Kultur zu fördern. Diese hatten ihre Wurzeln in traditioneller Musik und Literatur sowie in der Religion und Familie. Einige Gruppen machten die Juden und Kommunisten für die vermeintliche Pervertierung der deutschen Kultur verantwortlich. Auch Hirschfeld kam aufgrund seiner offenen Diskussionen über Sexualität, seines jüdischen Hintergrunds und seiner linken politischen Ausrichtung in das Visier dieser Anschuldigungen.
Schwule Gemeinschaften und Netzwerke in der Weimarer Republik
In der relativ freizügigen Atmosphäre der Weimarer Republik konnten sich in einer bislang nie gekannten Art und Weise schwule Gemeinschaften und Netzwerke entwickeln. Dies ermutigte viele Homosexuelle, sich offen zu ihrer sexuellen Neigung zu bekennen. Einige schlossen sich so genannten Freundschaftsverbänden an, in denen sich Schwule, Lesben, aber auch andere Interessierte politisch und sozial organisierten. Männliche Homosexuelle trafen sich in Bars, Klubs und Kneipen, die sich speziell an diese Klientel richteten. Der bekannteste Treffpunkt war das Eldorado in Berlin.
Die Schwulenpresse, die Magazine wie Die Freundschaft und Der Eigene herausgab, trug zum Ausbau der Vernetzung bei. In den Publikationen wurden die Leser über Sexualität aufgeklärt, aber auch Gedichte und Kurzgeschichten wurden veröffentlicht. Sie versuchten aktiv, ein Gefühl der Zugehörigkeit unter den Schwulen zu schaffen und druckten auch persönliche Anzeigen und Informationen zu Treffpunkten. In größeren Städten waren die Zeitungen und Zeitschriften am Zeitungsstand erhältlich. Leser konnten sie überall in Deutschland abonnieren.
Im Allgemeinen stießen männliche Homosexuelle in den Großstädten auf mehr Akzeptanz. In kleineren Städten und auf dem Land war dies weniger der Fall. Die Schwulenszene in Berlin war besonders markant. Aber selbst in größeren Städten wie München waren Schwule nicht immer willkommen.
NS-Haltung und der Fall Ernst Röhm
Bereits vor der Machtübernahme verurteilten Adolf Hitler und viele seiner Anhänger die Weimarer Kultur als dekadent und entartet. Der offene Umgang der Epoche mit Sexualität, wozu auch die Sichtbarkeit der Schwulenszene gehörte, missfiel den Nationalsozialisten. Einige bekannte Nazis, darunter Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler, waren eindeutig homophob. Dennoch äußerten sich Hitler und andere NS-Verantwortliche selten öffentlich über Homosexualität. In der Tat war dieses Thema nicht Bestandteil des Parteiprogramms aus dem Jahr 1920, bei dem es vorrangig um die Schaffung eines Großdeutschen Reichs, um Juden und die Wirtschaft ging.
Was die legislative politische Ausrichtung anbelangte, lehnte die NSDAP eine Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern ab und war gegen die Abschaffung von Paragraf 175. In Parlamentsdebatten porträtierten die Nationalsozialisten sexuelle Beziehungen zwischen Männern als schändliche Lasterhaftigkeit, die das deutsche Volk ruinieren würde. Sie sprachen sich dafür aus, homosexuelle Beziehungen strenger zu bestrafen als bislang im Gesetz vorgesehen.
Einige Führungs- und Basismitglieder der NSDAP vertraten aber auch andere und weniger eindeutige Ansichten. Auch unter den Nationalsozialisten selbst gab es Männer, deren Homosexualität kein Geheimnis war. Der bekannteste von ihnen war Ernst Röhm. Röhm beschrieb sich selbst als gleichgeschlechtlich. Er war Führer der SA (Sturmabteilung, der gewaltbereiten, radikalen, paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP.
Für Röhm stand seine Sexualität nicht in Konflikt mit der NS-Ideologie und auch seine Rolle als Führer der SA sah er dadurch nicht beeinträchtigt. Röhm war der Auffassung, dass es bei der Legalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern nicht um das Fördern liberaler, demokratischer Rechte oder von Toleranz ginge. Für ihn ging es um den Umsturz überholter Moralvorstellungen. Röhm schrieb, dass die „Prüderie“ einiger seiner Parteikollegen ihm nicht revolutionär erscheine.
Röhms Homosexualität war ein offenes Geheimnis in der NSDAP und führte 1931 zu einem öffentlichen Skandal. Eine links orientierte Zeitung hatte Röhm als schwul geoutet. Daraufhin wurde seine Sexualität von der SPD im Rahmen ihrer Wahlpropaganda verwendet. Trotz der Kontroversen wurde Röhm von Hitler verteidigt. Röhm blieb Leiter der SA, bis Hitler ihn 1934 ermorden ließ. Die Führungsposition Röhms innerhalb der NS-Hierarchie änderte jedoch nichts an der ablehnenden Haltung der Partei gegenüber Homosexualität und schwulen Gemeinschaften.
Homosexuelle Männer in den ersten Jahren des NS-Regimes (1933–1934)
Am 30. Januar 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Kurz darauf gingen sie dazu über, die offenen schwulen Kulturen und Netzwerke aufzulösen, die sich während der Weimarer Republik entwickelt hatten. Zu den ersten Maßnahmen gehörte die Schließung von Schwulenbars und anderen Begegnungsstätten. Ende Februar/Anfang März 1933 schloss die Berliner Polizei auf Anordnung der Nationalsozialisten zahlreiche Bars. Darunter auch das Eldorado, das zu einem markanten Symbol der Berliner Schwulenszene geworden war. In ganz Deutschland kam es zu ähnlichen Schließungen. Nichtsdestotrotz blieben einige etablierte Schwulenbars in Großstädten wie Berlin und Hamburg bis Mitte der 1930er Jahre bestehen. Geheime Treffpunkte für Schwule gab es sogar noch länger. Insgesamt wurde es jedoch aufgrund der Schließungen und der verstärkten polizeilichen Überwachung deutlich schwieriger für schwule Männer, Kontakt mit Gleichgesinnten aufzunehmen.
Eine weitere frühe Maßnahme des NS-Regimes waren das Verbot schwuler Zeitungen und Zeitschriften sowie die Schließung von Verlagen. Zeitungen gehörten zu den wichtigsten Kommunikationsmitteln innerhalb der schwulen Gemeinschaften Deutschlands. Ihre Klubs und Vereine wurden ebenfalls aufgelöst. Im Mai 1933 verwüsteten die Nationalsozialisten Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaften und erzwangen später die Schließung. Teil der Aktion war die Vernichtung von Hirschfelds Bibliothek in einer von den Nazis inszenierten Bücherverbrennung. Derartige Bücherverbrennungen richteten sich gegen die Werke prominenter jüdischer Intellektueller, Pazifisten und links orientierter Schriftsteller. Die Zerstörung des Instituts ließ keinen Zweifel daran, dass die Nationalsozialisten die reformistische Sexualpolitik, die das Institut förderte, nicht tolerierte.
Zu einer weiteren Eskalation kam es durch die Einführung neuer Gesetze und Polizeimethoden. Diese ermöglichten es den Nationalsozialisten, Ende 1933 und Anfang 1934 eine begrenzte Zahl von Homosexuellen ohne richterlichen Beschluss festzunehmen und zu inhaftieren. Sie waren Teil einer umfassenderen Maßnahme der Nationalsozialisten zur Bekämpfung von Kriminalität. Die Polizei wurde vom Regime angewiesen, Personen mit früheren Verurteilungen wegen sexueller Verbrechen wie Exhibitionismus, Sex mit Minderjährigen und Inzest zu verhaften. Diese Verbrechen waren in den Paragrafen 173 bis 183 des deutschen Strafgesetzbuchs geregelt. Unter den Verhafteten befanden sich etliche Schwule, von denen einige in den ersten Konzentrationslagern des Regimes inhaftiert wurden.
Im Herbst 1934 wies die Berliner Gestapo die lokalen Polizeibehörden an, ihr Listen aller Männer zukommen zu lassen, die unter dem Verdacht standen, in gleichgeschlechtliche Handlungen verwickelt zu sein. Solche Listen waren in einigen Teilen Deutschlands über viele Jahre von der Polizei geführt worden. Die Zentralisierung dieser Listen innerhalb der Berliner Gestapo war allerdings neu. Die Gestapo forderte die lokalen Dienststellen außerdem dazu auf, anzugeben, ob es sich bei den Männern um Mitglieder von NS-Organisationen handelte und ob sie bereits nach Paragraf 175 verurteilt worden waren. Diese Listen wurden als Rosa Listen bezeichnet, wenn auch nicht von den Nationalsozialisten oder der Polizei selbst.
Diese frühen Maßnahmen waren lediglich der Beginn der NS-Kampagne gegen Homosexualität. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre eskalierten die Aktionen der Nazis.
Verschärfte Verfolgung Homosexueller (1934–1936)
Durch drei Ereignisse in den Jahren 1934 bis 1936 wurde die Kampagne gegen Homosexualität radikaler und schwule Männer wurden systematischer unterdrückt.
Das erste Ereignis war die Ermordung von Ernst Röhm und anderer SA-Führer im Juni und Juli 1934. Die Anschläge hatten Einfluss auf die NS-Propaganda und die Sprache, die im Zusammenhang mit Homosexualität benutzt wurde. Röhm und die anderen SA-Führer waren im Rahmen eines Machtkampfs auf höchster Ebene der Regierung und der NSDAP auf Befehl Hitlers ermordet worden. Nach der Aktion rechtfertigte die NS-Propaganda die Ermordungen mit Röhms Homosexualität. Die Propaganda machte sich damit die Vorurteile vieler Deutscher gegen gleichgeschlechtliche Sexualität zunutze.
Das zweite Ereignis war die Novellierung von Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuchs im Juni 1935, durch die sexuelle Beziehungen zwischen Männern zu strafbaren Handlungen wurden. Mit der NS-Version des Gesetzes konnte ein breites Spektrum intimer und sexueller Verhaltensweisen strafrechtlich verfolgt und geahndet werden, was auch der Fall war. Die NS-Version des Paragrafen sah außerdem bis zu zehn Jahre Zuchthaus für nicht einvernehmliche Handlungen und Übergriffe zwischen Männern vor. Mit der Novellierung verfügte das NS-Regime über die erforderliche rechtliche Grundlage, um homosexuelle Männer in einem deutlich größeren Ausmaß als zuvor zu verfolgen und zu bestrafen.
Das dritte Ereignis war die Einrichtung der Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung durch Reichsführer SS und Chef der Polizei Heinrich Himmler im Jahr 1936. Die Zentrale gehörte der Kriminalpolizei an und arbeitete eng mit der Gestapo zusammen. Der notorisch homophobe Himmler sah sowohl in der Homosexualität als auch in der Abtreibung eine Bedrohung für die deutsche Geburtenrate und damit für das Schicksal des deutschen Volkes.
Bis Ende 1936 hatte das Regime alle Rahmenbedingungen geschaffen, um seine Kampagne gegen Homosexualität zu intensivieren.
Höhepunkt der Homosexuellenverfolgung durch die Nationalsozialisten
In den Jahren 1935 und 1936 intensivierten die Nazis ihre Kampagne gegen Homosexualität. Danach lag der Fokus des Regimes weniger auf der Beseitigung von Schwulentreffpunkten. Stattdessen richtete sich das Augenmerk auf die Verhaftung von Personen nach Paragraf 175. Aus Sicht der Nationalsozialisten waren Homosexuelle Straftäter und Staatsfeinde. Für Himmler war die Verfolgung schwuler Männer eine Notwendigkeit, um die „deutsche Volksgemeinschaft“ zu schützen, zu stärken und deren Überleben zu sichern. Kripo und Gestapo wurden von Himmler angewiesen, rigoros gegen Homosexualität vorzugehen. Razzien, Denunzierungen, brutale Verhörmethoden und Folter waren die von der Polizei eingesetzten Mittel, um mutmaßlich gegen Paragraf 175 verstoßende Männer ausfindig zu machen und zu verhaften.
Razzien
Mitte bis Ende der 1930er Jahre führte die Polizei Razzien in Bars und an anderen vermuteten Treffpunkten für Homosexuelle durch. Die Polizei stand rings um die fraglichen Örtlichkeiten Wache und befragte jeden, der verdächtig erschien. Einige Männer, die im Zuge einer solchen Razzia festgesetzt wurden, wurden wieder auf freien Fuß gesetzt, wenn keine Beweise gegen sie vorlagen. Diejenigen, welche die Polizei für schuldig befand, wurden wegen Verletzung von Paragraf 175 verurteilt und in einigen Fällen direkt in ein Konzentrationslager eingeliefert.
Die polizeilichen Razzien wurden öffentlich inszeniert und sollten die Kampagne gegen Homosexualität eindrucksvoll untermauern. Sie waren eine Drohgebärde der Polizei und sollten sowohl die organisierte Szene als auch einzelne Homosexuelle einschüchtern. Die Razzien waren jedoch nicht besonders zielführend. Sie waren nicht das primäre Mittel, um Männer wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Paragraf 175 zu überführen.
Denunzierungen
Kripo und Gestapo setzten auf Hinweise aus der Bevölkerung (Denunzierungen), um Informationen über das Intimleben von Männern zu erhalten und potenzielle Verstöße gegen Paragraf 175 aufzudecken. Jeder Nachbar, Bekannte, Kollege, Freund oder Familienangehörige konnte der Polizei verdächtige Beobachtungen melden. Die von den Denunzianten verwendete Sprache verdeutlicht, dass sie sich mit der homophoben Haltung der Nazis durchaus identifizieren konnten. Sie sprachen von „weibischem“, „unmännlichem“ und „perversem“ Verhalten. Im Gegensatz zu Razzien waren Denunzierungen ein sehr effektives Mittel der Unterdrückung. Aufgrund von Denunzierungen wurden möglicherweise mehrere Zehntausend Männer verhaftet und verurteilt.
Verhöre
Männer, die infolge einer Razzia oder Denunziation festgesetzt worden waren, wurden von Gestapo und Kripo verhört. Während der physisch und psychisch oft brutalen Verhöre versuchte die Polizei regelmäßig, umfassende Geständnisse zu erwirken. Unter dem Druck rauer Verhör- und Foltermethoden wurden die Verhafteten gezwungen, die Namen ihrer Sexualpartner preiszugeben. Auf diese Weise konnte die Polizei weitere Personen identifizieren, festnehmen und verhören und ganze Netzwerke schwuler Männer entdecken.
Schicksal der Verhafteten
Nicht alle Männer, die nach Paragraf 175 verhaftet wurden, erwartete das gleiche Schicksal. In der Regel führte eine Verhaftung zu einer Verhandlung vor Gericht. Das Gericht sprach den Beschuldigten entweder frei oder verurteilte ihn zu einer festen Gefängnisstrafe. Die Verurteilungsquote lag bei etwa 50 %. Nach Verbüßen ihrer Haftstrafe kamen die meisten Verurteilten frei. In selteneren Fällen wurden die Betroffenen von der Kripo oder Gestapo direkt als Homosexuelle in ein Konzentrationslager verbracht. In der Regel, aber nicht immer, lagen gegen diese Männer bereits mehrere Verurteilungen oder andere erschwerende Umstände vor.
Darüber hinaus hatte die NS-Justiz die Kastration als legale Praxis eingeführt. Ende 1933 konnten die Gerichte die Zwangskastration für bestimmte sexuelle Straftäter festlegen. An den nach Paragraf 175 verhafteten Männern durfte jedoch zumindest anfänglich ohne ihre vorgebliche Zustimmung keine Kastration durchgeführt werden. In einigen Fällen konnten sich die nach Paragraf 175 verhafteten Männer eine frühzeitige Entlassung sichern, indem sie der Kastration zustimmten.
Während des Zweiten Weltkriegs ging die Zahl der nach Paragraf 175 verhafteten Männer zurück. Die Erfordernisse, die ein totaler Krieg mit sich brachte, ließen die Kampagne der Nazis gegen Homosexuelle in den Hintergrund rücken. Viele nach Paragraf 175 verurteilte Männer meldeten sich entweder freiwillig zum Kriegsdienst oder sie wurden zwangsverpflichtet. Das Militär war auf jeden Mann angewiesen und so war die Sexualität eines Soldaten meist zweitrangig. Dennoch wurden Verhaftungen und Verurteilungen nach Paragraf 175 auch in den Kriegsjahren fortgesetzt.
Wissenschaftler schätzen, dass während des NS-Regimes etwa 100.000 Personen nach Paragraf 175 verhaftet wurden. Mehr als die Hälfte dieser Verhaftungen (ca. 53.400) führte zu einer Verurteilung.
Homosexuelle Männer in Konzentrationslagern
Zwischen 5.000 und 15.000 Männer wurden wegen des Vorwurfs der Homosexualität in Konzentrationslagern inhaftiert. In der Regel mussten sie den Rosa Winkel auf ihrer Häftlingskleidung tragen, der sie nach dem Klassifizierungssystem als homosexuell kennzeichnete. Viele, aber nicht alle der sogenannten Rosa-Winkel-Häftlinge bekannten sich als schwul.
Durch den Rosa Winkel stachen die Häftlinge als eigene Gruppe innerhalb des Konzentrationslagersystems hervor. Zahlreichen Berichten von Überlebenden zufolge gehörten Lagerhäftlinge mit dem Rosa Winkel zu den am schwersten Misshandelten. Rosa-Winkel-Häftlingen wurden die zermürbendsten und anstrengendsten Aufgaben im Lagersystem zugeteilt. Sie wurden oft physisch und sexuell von den Lagerwachen und anderen Häftlingen missbraucht. Manchmal wurden sie geschlagen und öffentlich gedemütigt. Im Konzentrationslager Buchenwald mussten einige Häftlinge mit dem Rosa Winkel menschenunwürdige medizinische Experimente über sich ergehen lassen. Ab November 1942 war es KZ-Kommandanten offiziell erlaubt, Zwangskastrationen an Rosa-Winkel-Häftlingen vorzunehmen.
Aus Angst vor Strafe mieden die ohnehin voreingenommenen Mithäftlinge diejenigen, die den Rosa Winkel trugen. Rosa-Winkel-Häftlinge waren innerhalb der Häftlingshierarchie isoliert und machtlos. Häftlingsnetzwerke ermöglichten vielen Mithäftlingen das Überleben, indem sie Lebensmittel und Kleidung für sie organisierten. Die Tatsache, dass die meisten Rosa-Winkel-Häftlinge deutschsprachig waren, bot ihnen einen gewissen Schutz, da sie dadurch Zugang zu weniger beschwerlichen Arbeiten hatten, etwa in der Verwaltung. In der Regel waren diese Häftlinge jedoch isoliert, was ihr Überleben erheblich erschwerte. Die Zahl der in den Konzentrationslagern gestorbenen Rosa-Winkel-Häftlinge ist nicht bekannt.
Schwule Männer konnten aber auch aus anderen Gründen als ihrer Sexualität verfolgt und in Konzentrationslagern inhaftiert werden. Manche Homosexuelle wurden als politische Gegner in die Lager verbracht oder weil sie Juden waren oder einer der anderen Häftlingskategorien angehörten. In dem Fall war die Sexualität als Haftgrund im Allgemeinen zweitrangig. Sie trugen dann das Abzeichen, das ihrer offiziellen Häftlingskategorie entsprach.
Die Zahl der im Holocaust ermordeten homosexuellen jüdischen Männer ist nicht bekannt.
Reaktion schwuler Männer auf die NS-Verfolgung
Homosexuelle Männer reagierten unterschiedlich auf die Verfolgung durch die Nationalsozialisten und trafen verschiedene Entscheidungen. Sie hatten auch nicht alle die gleichen Möglichkeiten. Schwule Männer, die vom Regime als „Arier“ eingestuft worden waren, hatten beispielsweise deutlich mehr Möglichkeiten als Juden oder Roma. Homosexuelle Juden und Roma wurden primär aus rassenideologischen Gründen verfolgt.
Einige „arische“ Homosexuelle, vor allem finanziell unabhängige, konnten versuchen, ihre Sexualität zu verbergen und nach außen hin angepasst zu wirken. Manche brachen den Kontakt zu ihrem Freundeskreis ab oder zogen sich aus dem öffentlichen Raum zurück. Andere zogen in eine andere Stadt, aufs Land oder sogar ins Ausland. Einige homosexuelle Männer gingen Zweckehen ein.
Es gab auch schwule Männer, die das Risiko eingegingen, sich aus politischen und persönlichen Gründen gegen das Regime aufzulehnen. Einige engagierten sich in Widerstandsgruppen im Untergrund oder halfen, Juden zu verstecken.
Dokumentation und Erinnerung an das Schicksal Homosexueller
Im Frühjahr 1945 befreiten alliierte Soldaten die Konzentrationslager und die verbliebenen Gefangenen. Darunter waren auch einige, die den Rosa Winkel trugen. Das Ende des Kriegs und der Sieg gegen das NS-Regime bedeutete aber nicht automatisch mehr Rechte für homosexuelle Männer. Sie blieben eine Randgruppe der deutschen Gesellschaft. Sexuelle Beziehungen zwischen Männern blieben fast während des gesamten 20. Jahrhunderts in Deutschland rechtswidrig.1 Dies bedeutete, dass Männer, die wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen Paragraf 175 eine Haftstrafe verbüßten, auch nach dem Krieg in Haft blieben. Weitere Zehntausende wurden nach dem Krieg verurteilt.
Die Erforschung der Erfahrungen schwuler Männer während der NS-Zeit erwies sich für einen großen Teil des 20. Jahrhunderts als schwierig, da es nach wie vor Vorurteile gegen gleichgeschlechtliche Sexualität gab und weil Paragraf 175 weiterhin angewandt wurde. Viele Schwule scheuten sich, Aussagen zu machen oder ihre Erlebnisse zu dokumentieren. Wissenschaftler/innen haben es sich jedoch zur Aufgabe gemacht, die Erfahrungen homosexueller Männer anhand von Polizei-, Gerichts- und Lageraufzeichnungen zu dokumentieren.
Die Bemühungen von Forschenden und Schwulenrechtsorganisationen haben dazu beigetragen, die Verfolgung homosexueller Männer unter dem NS-Regime in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken. In den 1990er Jahren erkannte die deutsche Bundesregierung verfolgte Homosexuelle als Opfer des NS-Regimes an. Im Jahr 2002 hob der Bundestag die während der Zeit des Nationalsozialismus aufgrund von Paragraf 175 ergangenen Urteile auf. Zum ersten Mal hatten homosexuelle Männer, die unter den Nationalsozialisten Leid und Unrecht ertragen mussten, Anspruch auf monetäre Entschädigung durch die deutsche Regierung.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts errichtete die deutsche Bundesregierung vier Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus in Berlin-Mitte. Die größte davon ist das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das 2005 errichtet wurde. Einige Jahre später, im Mai 2008, wurde in der Nähe davon das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Tiergarten eingeweiht.
Die Forschung beschäftigt sich auch weiterhin mit der NS-Kampagne gegen Homosexualität und der Verfolgung Homosexueller unter dem Regime.