Die Bedeutung des Begriffs „Ghetto“

Der Begriff „Ghetto“ stammt aus dem Namen eines historischen jüdischen Viertels in Venedig, das die venezianische Verwaltung im Jahre 1516 innerhalb der Stadt etablierte. Im 16. Und 17. Jahrhundert veranlassten Beamte örtlicher Behörden und der österreichische Kaiser die Errichtung solcher  Ghettos für Juden in Frankfurt, Rom, Prag und in anderen Städten.

Ghettos im Zweiten Weltkrieg

Porträt der Familie Weidenfeld mit Judenstern im Ghetto Czernowitz

Während des Zweiten Weltkrieges wurden von der SS und anderen deutschen Besatzungsbehörden Juden aus den Städten und gelegentlich auch aus den ländlichen Gebieten in Ghettos umgesiedelt. Die Lebensbedingungen waren elendig. Oftmals handelte es sich bei den Ghettos um abgesonderte Wohnbezirke, die die jüdische von der nichtjüdischen Bevölkerung und von anderen jüdischen Gemeinden trennten. Die Nationalsozialisten errichteten allein im okkupierten und annektierten Polen und in der Sowjetunion mindestens 1.000 Ghettos. Es gab drei Arten von Ghettos:

  • geschlossene Ghettos
  • offene Ghettos
  • Sammellager

Im Oktober 1939 errichtete die Deutsche Besatzungsverwaltung das erste Ghetto im polnischen Piotrków Trybunalski. Das Warschauer Ghetto mit einer Fläche von 1,3 Quadratmeilen war das größte Ghetto in Polen. Hier drängten sich auf engstem Raum mehr als 400.000 Juden. Andere große Ghettos wurden in den Städten Lodz, Krakau, Białystok, Lwiw (Lemberg), Lublin, Vilnius, Kaunas, Czestochowa (Tschenstochau) und Minsk errichtet. Darüber hinaus wurden zehntausende von westeuropäischen Juden in Ghettos in den Osten Europas deportiert.

Die deutschen Besatzungsbehörden befahlen der jüdischen Bevölkerung in den Ghettos Erkennungszeichen oder Armbinden zu tragen. Darüber hinaus wurden viele Juden zur Zwangsarbeit für das Deutsche Reich herangezogen. Von der SS und der Besatzungsbehörde  ernannte Judenräte übernahmen die Verwaltung über das tägliche Leben in den Ghettos. Jüdische Ordnungsdienste setzte die Anordnungen der deutschen Behörden und die Verordnungen der jüdischen Räte durch. Dies ermöglichte unter anderem die Verschleppung in die Vernichtungslager. Jüdische Polizeibeamte, wie die Mitglieder des Judenrats, unterstanden vollkommen dem Befehl der deutschen Behörden, die nicht zögerten, Ungehorsam mit dem Tod zu bestrafen. Diese zögerten nicht, sie zu töten, sollten sie Befehle nicht ausführen.

Ghettos und die „Endlösung“

Umzug in das Krakauer Ghetto

Die Ghettoisierung war in vielen Orten von kurzer Dauer. Einige Ghettos existierten lediglich nur wenige Tage, andere bestanden wiederum monate- oder jahrelang. Die Nationalsozialisten sahen die Ghettos als vorübergehende Maßnahme, die Juden zu kontrollieren und sie zu isolieren. In der Zwischenzeit verhandelten nationalsozialistische Funktionsträger in Berlin über die Möglichkeit, die jüdische Bevölkerung zu beseitigen. 

Mit der 1941 begonnenen Implementierung der Endlösung (der Plan die europäischen Juden zu töten) begann die SS die systematische Zerstörung der Ghettos. Gemeinsam mit ihren Verbündeten erschossen  sie die Ghetto-Bewohner entweder in nahegelegenen Massengräbern oder deportierten sie sie in Vernichtungslager oder in Zwangsarbeitslager oder Konzentrationslager.

Im August 1944 zerstörten SS und Polizei das letzte grosse Ghetto in Lodz.

Szene während der Deportation von Juden aus dem Ghetto Kaunas

Widerstand

Juden reagierten mit einer Vielzahl von Widerstandsformen. So schmuggelten die Bewohner regelmäßig Lebensmittel, Medikamente, Waffen oder Geheimdienstinformationen ins Ghetto. Diese und auch andere Aktionen fanden oft ohne Kenntnis oder Genehmigung seitens des Judenrats statt.  Es gab Fälle, in denen individuelle Mitglieder oder auch einzelne Judenräte diese Aktionen duldeten oder sogar ermutigten, vor allem da die Schmugglerware im Ghetto dringend benötigt wurde.

Die deutsche Besatzungsbehörde hatte grundsätzlich keine Bedenken über jüdische Gottesdienste, den Besuch kultureller Anlässe oder die Teilnahme an Jugendgruppen innerhalb der Ghettomauern.  Andererseits waren öffentliche Versammlungen als Sicherheitsbedrohung komplett untersagt und Teilnehmer wurden mit Haft oder Tod bestraft. Ferner untersagte die SS jegliche Form der Bildung und Beschulung.

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Deportation aus Warschau

In einigen Ghettos organisierten Mitglieder jüdischer Widerstandsbewegungen bewaffnete Aufstände, von denen der größte im Warschauer Ghetto im Frühjahr 1943 stattfand. Andere gewaltsame Revolten ereigneten sich in Vilnius, Białystok, Czestochowa (Tschenstochau) und in zahlreichen anderen kleinen Ghettos.

Ghettos in Ungarn

In Ungarn begann die Ghettoisierung erst im Frühjahr 1944 – nachdem Deutschland das Land überfallen und eingenommen hatte. In weniger als drei Monaten begann die ungarische Gendarmerie gemeinsam mit deutschen Experten für Deportationen aus dem Reichssicherheitshauptamt ca. 440.000 Juden aus Ungarn, mit Ausnahme der Hauptstadt Budapest, zusammenzudrängen. Sie zwängten Juden in temporäre Sammellager, um sie dann an der ungarischen Grenze in deutsche Verwahrung zu übergeben. Die SS verschleppte die meisten ungarischen Juden ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Die ungarischen Behörden in Budapest verlangten von der jüdische Bevölkerung, sich in gekennzeichnete Häuser (sog. Davidstern-Häuser) zurückzuziehen. Mitglieder der faschistischen Bewegung der Pfeilkreuzler ergriffen am 15. Oktober 1944 in einem deutsch-geförderten Staatsputsch die Macht. Einige Wochen später errichtete die Pfeilkreuzlerbewegung offiziell ein Ghetto in Budapest, wo ca. 63.000 Juden in einem 0,1 Quadratmeilen großen Areal untergekommen sind. Etwa 25.000 Juden mit Papieren, die belegen sollten, dass sie unter dem Schutz eines neutralen Staates stehen, wurden in einem „internationalen Ghetto“ in der Stadt eingesperrt. Im Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen den Teil von Budapest, in dem sich beide Ghettos befanden und somit auch die fast 90.000 jüdischen Bewohner.