Paragraf 175 und die NS-Kampagne gegen Homosexualität

Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuchs stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Sexuelle Beziehungen zwischen Frauen galten nicht als strafbar. Paragraf 175 existierte bereits vor dem NS-Regime. Allerdings wurde er unter dem NS-Regime 1935 verschärft. Das Gesetz war eines der wichtigsten Instrumente, auf das sich die Nationalsozialisten beriefen, um homosexuelle Männer und Männer, denen sexuelle Beziehungen mit anderen Männern vorgeworfen wurden, zu verfolgen.

Wichtige Fakten

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    Paragraf 175 wurde 1871 in das Strafgesetzbuch des Deutschen Reichs aufgenommen. Das Gesetz war das Ergebnis einer langen, in ganz Europa vorherrschenden Tradition der Kriminalisierung und Bestrafung sexueller Beziehungen zwischen Männern. Es blieb bis 1994 in unterschiedlicher Form Bestandteil des deutschen Strafgesetzbuchs.

  • 2

    1935 wurde Paragraf 175 von den Nationalsozialisten überarbeitet. Die nationalsozialistische Version des Gesetzes ermöglichte es dem Regime, eine deutlich größere Zahl von Männern strafrechtlich zu verfolgen als dies unter früheren Regierungen möglich war.

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    Die meisten Männer, die nach Paragraf 175 verhaftet wurden, wurden zu festen Haftstrafen verurteilt. Einige von ihnen wurden jedoch für unbestimmte Zeit in Konzentrationslager gesteckt.

Was besagte Paragraf 175?

Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuchs stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Sexuelle Beziehungen zwischen Frauen waren nicht strafbar. 

Das Gesetz war Teil des dreizehnten Abschnitts des deutschen Strafgesetzbuchs des Deutschen Reichs, der Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit regelte. Weitere in diesem Abschnitt behandelte Verbrechen waren Sodomie, Bigamie, Inzest und sexuelle Übergriffe. 

Paragraf 175 existierte bereits in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs (1871–1918), überdauerte die Weimarer Republik (1918–1933), das NS-Regime (1933–1945) und hatte bis in die Nachkriegszeit Bestand. Unter den verschiedenen Regierungen und Regimes wurde das Gesetz jedoch auf unterschiedliche Weise angewandt. 

Wenngleich Paragraf 175 sexuelle Handlungen zwischen Männern kriminalisierte, galt es in Deutschland nie als Verbrechen, homosexuell zu sein.

Paragraf 175 vor dem NS-Regime 

Paragraf 175 war Bestandteil des Strafgesetzbuchs des Deutschen Kaiserreichs, das 1871 erlassen wurde. Das Gesetz folgte einer langen, in ganz Europa vorherrschenden Tradition der Kriminalisierung und Bestrafung sexueller Beziehungen zwischen Männern. Die in Paragraf 175 verwendete Sprachregelung wurde aus Paragraf 143 des bestehenden Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten von 1851 übernommen.  

Der Wortlaut des Paragrafen 175 von 1871 war:

Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 

Sowohl im Deutschen Reich als auch in der Weimarer Republik war der Tatbestand der „widernatürlichen Unzucht“ strafrechtlich recht eng ausgelegt. Männer konnten nur dann wegen sexueller Handlungen mit Männern verurteilt werden, wenn ihnen „beischlafsähnliche“ Handlungen nachgewiesen werden konnten. Dadurch gestaltete sich die Anwendung von Paragraf 175 für Polizei und Justiz als schwierig. Denn der Nachweis „beischlafsähnlicher Handlungen“ war oft nur dann möglich, wenn die Polizei die Betroffenen dabei ertappte. 

Bedingt durch die enge Auslegung des Gesetzes durch das Rechtssystem belief sich die Zahl der jährlichen Verurteilungen sowohl im Deutschen Reich als auch in der Weimarer Republik in den Statistiken in der Regel auf wenige Hundert Fälle. 

Diskussion über gleichgeschlechtliche Sexualität und Paragraf 175 

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde die menschliche Sexualität zu einem wichtigen Bereich der wissenschaftlichen Forschung und zum Thema öffentlicher Diskussionen. Deutschland war nicht zuletzt wegen der Debatten in Bezug auf Paragraf 175 Vorreiter dieser Entwicklung. 

Befürworter der Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern

Bereits vor der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 gab es in verschiedenen deutschen Staaten Kampagnen für die Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern. 1869 wurde im Rahmen dieser frühen Bewegungen von einem deutschsprachigen Verfechter der Entkriminalisierung unter anderem der Begriff Homosexualität geprägt.

Der Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld zählte im frühen 20. Jahrhundert zu den bekanntesten Fürsprechern der Entkriminalisierung. Hirschfeld stellte die zur damaligen Zeit vorherrschende Auffassung in Frage, wonach die gleichgeschlechtliche Anziehung eine pathologische Perversion sei und ein Laster darstelle. Vielmehr vertrat er die Auffassung, dass diese angeboren ist. Er entschied sich für den Begriff „Homosexualität“, da dieser die gleichgeschlechtliche Anziehung seiner Meinung nach am besten zum Ausdruck brachte. 

Seiner Annahme entsprechend, dass gleichgeschlechtliche Anziehung angeboren ist, vertrat Hirschfeld die Meinung, dass Homosexualität nicht strafbar sein sollte. 1897 gründete er das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee. Das Komitee setzte sich erstmals für eine Reform von Paragraf 175 ein. Die Aktivitäten des Komitees gewannen vor allem in den 1920er Jahren, also während der Weimarer Republik, an Bedeutung. 

Politische Debatten zu Paragraf 175 

Hirschfelds Kampagne zur Novellierung von Paragraf 175 fiel mit anderen wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen. Während der Weimarer Republik (1918–1933) gab es Bemühungen, das gesamte deutsche Strafgesetzbuch zu reformieren. Damit sollte dem Verständnis der damaligen Zeit über die Arten und Ursachen von Verbrechen besser entsprochen werden. In Bezug auf Paragraf 175 debattierten deutsche Rechtswissenschaftler und Politiker über die Frage, ob sexuelle Beziehungen zwischen Männern überhaupt eine strafbare Handlung darstellen sollten. 

Folgende Gruppen unterstützten die Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern:

  • die große, gemäßigt linke Sozialdemokratische Partei 
  • die radikalere Kommunistische Partei Deutschlands
  • die pazifistische Deutsche Liga für Menschenrechte
  • die Deutsche Demokratische Partei, welche die politische Mitte vertrat

Es gab jedoch auch Gruppen, die sich für eine Verschärfung des Gesetzes aussprachen. Unter ihnen befanden sich verschiedene moderate und rechts orientierte politische Parteien und konventionelle religiöse Organisationen. Ein Beispiel war die rechtsradikale NSDAP, die ausdrücklich jegliche Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern ablehnte. Wilhelm Frick, NSDAP-Mitglied im Reichstag, sprach sich 1927 dafür aus, dass Männer, die „widernatürliche“ sexuelle Handlungen mit Männern durchführten, auf das Schärfste bestraft werden müssten. Laster wie diese würden das deutsche Volk untergraben.  

Die Überarbeitung des Strafgesetzbuchs scheiterte schließlich an der politischen Handlungsunfähigkeit der Weimarer Republik. Paragraf 175 behielt seine Gültigkeit. 

Novellierung von Paragraf 175 durch das NS-Regime 

Adolf Hitler wurde im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt. In den ersten zweieinhalb Jahren des NS-Regimes setzte die Regierung Paragraf 175 auf ähnliche Weise um wie dies bereits in der Weimarer Republik der Fall war. Zu der Zeit bedienten sich die Nationalsozialisten auch anderer Mittel, um gegen die Schwulenszene in Deutschland vorzugehen. Sie schlossen Lokale, verhafteten Gewohnheitstäter und verboten einschlägige Presseerzeugnisse und Verlage. 

1935 wurde Paragraf 175 schließlich vom NS-Regime modifiziert. In der Folgezeit wurden deutlich mehr Männer wegen Verstößen gegen den Paragrafen belangt. 

Novellierung von Paragraf 175 

Im Rahmen eines breit angelegten Vorhabens der Nationalsozialisten, das Strafgesetzbuch umzuschreiben und zu reformieren, wurde am 28. Juni 1935 auch Paragraf 175 modifiziert. Die neue Version des Gesetzes trat am 1. September desselben Jahres in Kraft. 

In der NS-Version von Paragraf 175 hieß es: 

„Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.“ 

Die Nationalsozialisten strichen das Adjektiv „widernatürlich“  in der neuen Version, da der Begriff  problematisch für ihre Zwecke war. Er hatte das strafrechtliche System nämlich dazu gezwungen, das Verbrechen zu eng als „beischlafsähnliche“ Handlungen zu definieren. Durch den Wegfall des Begriffs „widernatürlich“ wurde der Gesetzestext dehnbarer und ermöglichte somit eine breitere Auslegung des Tatbestands „sexueller Handlungen“. Folglich konnte ein breites Spektrum intimer und sexueller Verhaltensweisen strafrechtlich verfolgt und geahndet werden, was auch der Fall war. Dazu gehörten selbst einfache Gesten wie das Ansehen oder Berühren eines anderen Mannes.

Wie bislang war jedoch die homosexuelle Neigung an sich weder in Paragraf 175 noch unter einem anderen Gesetz strafbar. Dennoch wurde mit der Modifizierung von Paragraf 175 die Palette der strafbaren Handlungen erheblich erweitert. Demzufolge stieg auch die Zahl der Männer, die nach Maßgabe dieses Gesetzes bestraft wurden. 

Abschnitte 175a und 175b 

Die neue Version von Paragraf 175 beinhaltete zwei neue Abschnitte: 175a und 175b. 

Abschnitt 175a führte vier konkrete Verhaltensweisen auf, die in den Augen der Nazis besonders schwere Verstöße gegen Paragraf 175 darstellten. Dazu gehörten 

  • mit Gewalt oder durch Gewaltandrohung erzwungene homosexuelle Handlungen 
  • die Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses
  • die Verführung von Männern unter 21 Jahren durch Männer über 21 Jahre
  • die männliche Prostitution

Das NS-Regime betrachtete Männer, die sich eines solchen Vergehens schuldig machten, für besonders schädlich, da sie andere Männer verderben würden. Die Fälle „schwerer Unzucht“ wurden gemäß § 175a mit Zuchthaus zwischen einem und zehn Jahren bestraft. Innerhalb des deutschen Strafrechts war dies eine relativ lange und harte Gefängnisstrafe. 

Zu beachten ist, dass beide Beteiligten bestraft werden konnten. Bei entsprechenden heterosexuellen Handlungen konnte nur die Person strafrechtlich belangt werden, die zu der Handlung angestiftet hatte. Darüber hinaus waren auch die gesetzlich vorgeschriebenen Haftstrafen für vergleichbare heterosexuelle Handlungen kürzer. 

Die „widernatürliche Unzucht mit Thieren“ wurde nach § 175b ausgelagert. Wie gehabt galt dieses Verbot für Männer und Frauen. 

Paragraf 175 und sexuelle Beziehungen zwischen Frauen 

Im Zuge der Novellierung des Gesetzes im Jahr 1935 hatten die Nationalsozialisten die Gelegenheit, Paragraf 175 auch auf Frauen auszuweiten, worauf sie jedoch verzichteten. Ausschlaggebend dafür war die Auffassung, dass lesbische Frauen weiterhin die ihnen zugedachte Aufgabe erfüllen konnten, nämlich rassisch reine, „arische“ Kinder zu gebären. Für die Nationalsozialisten stellte es kein Problem dar, lesbische „Arierinnen“ dazu zu bewegen oder auch zu zwingen, Kinder zu gebären. Mit ihren Ansichten griffen sie weit verbreitete Vorstellungen hinsichtlich der Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Sexualität auf. Frauen bekleideten in der Regel auch keine Führungspositionen in Militär, Wirtschaft oder Politik. Insofern stellten lesbische Frauen oder sexuelle Beziehungen zwischen Frauen keine direkte Bedrohung für den Staat dar. 

Lesbische Frauen wurden manchmal unter Anwendung anderer Gesetze bestraft, etwa dem über das Verbot sexueller Beziehungen mit Minderjährigen.  

Durchsetzung von Paragraf 175

1936 übernahm Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler die Aufsicht über die Bekämpfung der Homosexualität, die er als „Volksseuche“ ansah. Er wies die Polizeikräfte unter seiner Kontrolle an, Paragraf 175 durchzusetzen. Für Himmler hielt dies für notwendig, um die deutsche „Volksgemeinschaft“ zu schützen und zu stärken.  

1936 richtete Himmler die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung ein. Die Zentrale gehörte der Kriminalpolizei an und arbeitete eng mit der Gestapo zusammen. Zu ihren Hauptzuständigkeiten zählte die polizeiliche Überwachung und Verfolgung von Männern, die im Verdacht standen, homosexuell zu sein. 

Unter der Leitung Himmlers verfolgten die Polizeikräfte akribisch jeglichen Verstoß gegen Paragraf 175. Die Polizei führte gezielte Razzien in einschlägigen Lokalitäten durch und die gesamte Homosexuellenszene wurde überall in Deutschland eng überwacht. 

Anzahl der Verhaftungen nach Paragraf 175

Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge wurden unter dem NS-Regime etwa 100.000 Personen wegen Verstößen gegen Paragraf 175 verhaftet. Mehr als die Hälfte dieser Verhaftungen (ca. 53.400) führte zu einer Verurteilung. Aus diesen Zahlen geht jedoch nicht hervor, wie viele einzelne Männer insgesamt wegen Verstößen gegen Paragraf 175 verhaftet und verurteilt wurden. Grund dafür ist, dass einige Männer mehrfach verhaftet und verurteilt wurden und deshalb mehrfach in dieser Statistik enthalten sind. 

Aus statistischen Erhebungen aus den 1930er Jahren geht hervor, dass sich die NS-Politik in hohem Maße auf die Zahl der nach Paragraf 175 verurteilten Männer ausgewirkt hatte. Besonders deutlich wird dies, wenn man einen Blick auf die Verurteilungsstatistik vor und nach der Novellierung des Gesetzes im Jahr 1935 wirft: 

  • 1934 gab es 948 Verurteilungen wegen Verstößen gegen Paragraf 175. Diese Zahl entspricht in etwa der Anzahl der jährlichen Verurteilungen während der Weimarer Republik, wenngleich sie bereits am oberen Ende der Skala liegt. 
  • 1936 waren es bereits 5.320 Verurteilungen.
  • Im Jahr 1938 betrug die Anzahl etwa 8.500.

Die Daten zu Verhaftungen und Verurteilungen wegen Verstößen gegen Paragraf 175 während des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) liegen nicht vollständig vor.

In den meisten Fällen wurden Männer, denen ein Verstoß gegen Paragraf 175 vorgeworfen wurde, von ordentlichen Gerichten zu einer festen Gefängnisstrafe verurteilt. Die meisten von ihnen wurden nicht in Konzentrationslager verbracht. 

Transvestiten und Verhaftungen nach Paragraf 175 

Nicht alle, die nach Paragraf 175 verhaftet wurden, ordneten sich selbst dem männlichen Geschlecht zu. Während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik etablierte sich in Deutschland eine wachsende Community, deren Mitglieder sich als Transvestiten bezeichneten. Magnus Hirschfeld prägte den Begriff „Transvestit“ im Jahr 1910. Ursprünglich umfasste diese Bezeichnung Personen, die in Frauenkleidung auftraten (drag) oder sich zum Vergnügen in der anderen Geschlechterrolle kleideten (Crossdressing) sowie Personen, die sich selbst heute als Trans oder Transgender bezeichnen würden. Während der Begriff „Transvestit“ heute als veraltet gilt, wurde er zur damaligen Zeit weitläufig gebraucht.

Einige bekennende Transvestiten wurden nach Paragraf 175 verhaftet. Dieser Personengruppe war bei Geburt das männliche Geschlecht zugeordnet worden, sie selbst fühlten sich jedoch als Frau und kleideten und verhielten sich oft entsprechend. Sexuelle Beziehungen von Transvestiten mit Männern betrachtete das NS-Regime als gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Männern. Viele Transvestiten hingegen verstanden sich selbst nicht als homosexuell. Für sie war eine sexuelle Beziehung zu einem Mann kein Sex zwischen Männern. Nichtsdestotrotz wurden sie nach der Logik des Regimes bestraft.

„Paragraf 175-Häftlinge“ in Konzentrationslagern 

Die meisten Männer, die nach Paragraf 175 verhaftet wurden, wurden zu festen Haftstrafen verurteilt. Einige wurden jedoch für unbestimmte Zeit in Konzentrationslagern inhaftiert. Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge belief sich ihre Zahl auf 5.000 bis 15.000 Männer. Sowohl die Gestapo als auch die Kripo waren befugt, mutmaßlich homosexuelle Männer in Konzentrationslager zu schicken. Die von der Gestapo festgesetzten Männer kamen in so genannte Schutzhaft. Bei der Kripo wurde der Begriff Vorbeugungshaft verwendet.  

Warum wurden einige Männer in Lager geschickt? 

Viele der wegen Homosexualität in die Konzentrationslager verbrachten Männer galten als Gewohnheitsverbrecher. Sie waren also mehrfach wegen Verstößen gegen Paragraf 175 verurteilt worden. Die NS-Führung, einschließlich Himmler, war der Ansicht, dass eine besondere Gefahr von diesen Männern ausginge. Himmler glaubte, Homosexuelle könnten und würden heterosexuelle Männer verführen. Dadurch würde die Geburtenrate sinken und die Nation geschwächt werden. 

Der Rosa Winkel 

Die Nationalsozialisten kennzeichneten die Häftlinge in den Konzentrationslagern je nach Grund für die Inhaftierung. 1938 wurden die einzelnen Gruppen anhand von farbigen Stoffaufnähern auf der Häftlingskleidung identifiziert. Viele Männer, die wegen mutmaßlicher Missachtung von Paragraf 175 inhaftiert waren, mussten den Rosa Winkel tragen. Mit diesem Aufnäher wurden gemäß dem Häftlingsklassifizierungssystem Homosexuelle gekennzeichnet. Manchmal wurden die Gefangenen auch als „175er“ bezeichnet.

Die so genannten Rosa-Winkel-Häftlinge befanden sich in der Lagerhierarchie oft ganz unten und wurden von anderen Gefangenen und den SS-Mannschaften oft außerordentlich grausam behandelt und missbraucht. Einigen gebildeten 175er-Häftlingen gelang es dennoch, eine Stelle in der Lagerverwaltung zu ergattern. Eine solche Position rettete vielen von ihnen das Leben. Im Allgemeinen geht die Forschung jedoch davon aus, dass als homosexuell eingestufte Häftlinge sehr geringe Überlebenschancen im Lager hatten. 

Paragraf 175 nach der NS-Zeit

Die Kriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern in Deutschland endete jedoch nicht mit dem Sieg gegen das NS-Regime 1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland von den Alliierten neu geordnet. 1949 wurden zwei deutsche Staaten gegründet. Diese standen sich im Kalten Krieg feindlich gegenüber.

  • Die Bundesrepublik Deutschland (BRD oder Westdeutschland) verfügte über eine liberale demokratische Verfassung und unterstand zunächst den westlichen Siegermächten, darunter die Vereinigten Staaten.
  • Die Deutsche Demokratische Republik hingegen (DDR oder Ostdeutschland) war ein kommunistischer Staat, der in den Einflussbereich der Sowjetunion fiel.

Nach dem Krieg verlangten die Alliierten Mächte im Rahmen der „Entnazifizierung“, dass Deutschland alle Statuten und Gesetze der NS-Diktatur abschaffte. Obwohl die Nationalsozialisten Paragraf 175 in ihrem Sinne überarbeitet hatten, durfte die novellierte Version beibehalten werden. Grund dafür war, dass der Paragraf 175 bereits vor der NS-Zeit Bestandteil des deutschen Strafgesetzbuchs war. In Ostdeutschland und Westdeutschland wurden unterschiedliche Versionen des Gesetzes angewendet. 

Im ersten Jahr nach ihrer Gründung beschloss die DDR, die frühere, enger formulierte Version von Paragraf 175 wieder einzuführen. Diese Version entsprach dem Wortlaut aus dem Jahr 1871. Ostdeutschland behielt außerdem Paragraf 175a bei, der bestimmte nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. 1957 stellte Ostdeutschland die Anwendung von Paragraf 175 ein. Beide Paragrafen wurden 1968 vollständig abgeschafft. 

Westdeutschland hingegen wendete die NS-Version von Paragraf 175, einschließlich 175a und 175b, weiterhin an. Zunächst setzten die westdeutschen Behörden das Gesetz rigoros um. Zwischen 1949 und 1969 wurden 100.000 Männer nach Paragraf 175 verhaftet. Etwa 59.000 von ihnen wurden letztlich verurteilt. Einige erhielten Gefängnisstrafen. In der Regel waren diese deutlich kürzer als in der NS-Zeit. In einigen Fällen dauerten sie einige Tage oder Wochen. Andere mussten keine Haftstrafe verbüßen, sondern erhielten eine Geldstrafe. 1969 fuhr Westdeutschland die Anwendung des Paragrafen allmählich zurück. 

Erst 1994, nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, wurde Paragraf 175 aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen.

Fußnoten

  1. Footnote reference1.

    Wenngleich heute viele Mitglieder der LGBTQ+-Community unter anderem die Begriffe Homosexualität und homosexuell als abwertend empfinden, waren sie zur damaligen Zeit weit verbreitet und üblich. Im medizinischen und wissenschaftlichen Bereich sind diese Begriffe weitestgehend akzeptiert. Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Männer in Deutschland, sich als homosexuell oder gleichgeschlechtlich zu bezeichnen.

  2. Footnote reference2.

    Die Statistiken beinhalten alle Verurteilungen nach Paragraf 175, einschließlich 175a und 175b.

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