"Portrait of Masha Rolnik, Leibisch concentration camp, 1944" by Esther Lurie

Esther Lurie

Während ihrer Gefangenschaft im Ghetto zeichneten und malten mehrere Künstler Portraits und Landschaften. Zum Teil mussten sie sogar Kopien von Kunstwerken großer Meister für die deutschen Aufseher und andere in Kaunas stationierte Verantwortliche anfertigen. Heimlich erfassten sie aber auch Szenen von Gewalt und Deportationen. Zu diesen Künstlern gehörte Esther Lurie.

Frühe Jahre

Esther Lurie and friend Jose at the Institute of Art in Brussels

Fotografie von Esther Lurie und einem Freund, Jose, die beide an der Kunstakademie in Brüssel studierten. Das Bild aus den frühen 1930er Jahren zeigt die beiden auf der Terrasse eines Cafés in Brüssel. Als der Krieg unmittelbar bevorstand, flüchtete Lurie aus Europa. Brüssel, Belgien, 1931–1933. 

Nachweise:
  • US Holocaust Memorial Museum, courtesy of Esther Lurie

Esther Lurie wurde 1913 im kleinen lettischen Dorf Liepaja geboren. Als junge Schülerin in der Hauptstadt Riga interessierte sie sich fürs Zeichnen und Gestalten. Nach ihrem Abschluss am hebräischen Gymnasium zog sie wie ihr Bruder nach Brüssel, wo sie sich an einer Akademie für bildende Künste einschrieb, um Bühnenbildnerin zu werden. Um eine formellere Ausbildung zu absolvieren, wechselte sie später zur Königlichen Akademie der Schönen Künste (Academie Royale des Beaux Arts) nach Antwerpen.

1934 zog sie nach Tel Aviv, wo sich bereits einige Jahre zuvor ein Teil ihrer Familie niedergelassen hatte. Lurie arbeitete als Bühnenbildnerin für Theaterensembles. 1938 stellte sie Bilder in Jerusalem und Haifa aus und wurde mit dem begehrten Dizengoff-Preis der Stadt Tel Aviv ausgezeichnet.

Ende 1938 kehrte Lurie nach Antwerpen zurück, um ihre Ausbildung zu vertiefen. Als im Herbst 1939 der Krieg Westeuropa bedrohte, zog Lurie zu ihrer Schwester in das litauische Kaunas.

Im Ghetto

Nachdem deutsche Truppen Litauen besetzt hatten, geriet auch Lurie in die Fänge des Nazi-Terrors. Alle Juden in Kaunas wurden in ein Ghetto gesperrt. 

Zeichnen war Luries erste und andauernde Reaktion auf die Wirren der ersten Tage im Ghetto. Sie zeichnete umgesiedelte Familien, die verzweifelt versuchten, sich wohnlich einzurichten. Selbst zwischen Maschinenanlagen und Industrieausrüstung einer ehemaligen Ausbildungseinrichtung versuchten sie, Unterschlupf zu finden. Andere Werke von Lurie zeigen die Not und Verzweiflung der damaligen Zeit. Zu diesen Werken gehört eines, das ein Mädchen darstellt und ein weiteres, das eine Gruppe von Menschen zeigt, die alle den gelben Stern tragen.

Luries Portrait hungernder Ghettobewohner, die auf der Suche nach Essbarem einen Kartoffelacker plündern, weckte das Interesse des Judenrates an ihrer Arbeit. Der Vorsitzende des Judenrates, Elkhanan Elkes, bewilligte Lurie schließlich eine vorübergehende Freistellung von der Arbeit. Sie wurde beauftragt, für das geheime Archiv das Leben im Ghetto zu dokumentieren. Ab Herbst 1942 arbeitete sie regelmäßig mit anderen Künstlern zusammen, die unter anderem in der Mal- und Zeichenwerkstatt beschäftigt waren.

Lurie hatte die Gabe, das Elend in gewöhnlichen, ja sogar stillen Umgebungen zum Ausdruck zu bringen. Den Demokratu Platz, häufiger Schauplatz mörderischer Selektionen, stellte sie in leerer Stille dar. In einer Serie von Aquarellen und Bleistift-/Tuschezeichnungen stellte sie kraftlose Gestalten dar, die auf ihrem Weg zur Tötungsstätte Fort IX an friedlich anmutenden Vorstadthäusern vorbeiziehen. 

Der Künstler Jacob Lifschitz arbeite zusammen mit Lurie für das geheime Archiv. Er wurde ihr wichtigster Helfer. Der Künstler Josef Schlesinger war ebenfalls im Ghetto aktiv und Lurie eng verbunden. Über Ben Zion (Nolik) Schmidt ist wenig bekannt, aber auch er arbeitete in der Zeichenwerkstatt des Ghettos. Seine Darstellung abtransportierter Juden am Demokratu Platz aus dem Jahr 1942 ist die einzige erhalten gebliebene Zeichnung von ihm.

Lurie selbst wurde im Juli 1944 in das Konzentrationslager Stutthof deportiert. Bei ihrer Befreiung im Januar 1945 hatte sie mehrere Zwangsarbeitslager überlebt.

Nach dem Krieg

"Portrait of Masha Rolnik, Leibisch concentration camp, 1944" by Esther Lurie

„Portrait von Masha Rolnik, Konzentrationslager Leibitsch, 1944“ von Esther Lurie. Die Abbildung zeigt drei Skizzen von Masha Rolnikaite (Rolnik), die etwa 1965 von Esther Lurie für Mashas Memoiren Ikh muz dertseyin [Ich muss erzählen] angefertigt wurden. Sie sind eine Reproduktion der Zeichnung von Masha, die Esther ursprünglich angefertigt hatte, als beide Frauen in einem Zwangsarbeiterlager interniert waren.

Esther Lurie dokumentierte regelmäßig Alltagsszenen aus dem Ghetto Kaunas und aus Zwangsarbeiterlagern. Die meisten ihrer Werke vergrub sie in der Hoffnung, dass sie den Krieg überdauern würden. Leider konnte nur ein geringer Teil geborgen werden, weshalb sie später Rekonstruktionen wie diese anfertigte.

Nachweise:
  • US Holocaust Memorial Museum, courtesy of Esther Lurie

Der Großteil der Werke der Ghettokünstler aus Kaunas ging verloren. Die meisten der über 200 Aquarelle und Skizzen von Lurie wurden nie gefunden. Wahrscheinlich wurden sie zerstört, obwohl sie sie vor der Deportation in die estländischen Arbeitslager im Oktober 1943 in Keramikbehältern vergraben hatte. Zu der kleinen Zahl der Werke, die den Krieg überdauert haben, gehören mehrere Skizzen und Portraits, die Avraham Tory in geheimen Kisten vergraben hatte. Acht Aquarelle und Portraitskizzen wurden zusammen mit dem Archiv Malereiwerkstatt gefunden.

Nach der Befreiung verbrachte Lurie kurze Zeit in Italien. Dort stellte sie ihre Zeichnungen aus den Zwangsarbeitslagern aus, bevor sie nach Israel zurückkehrte. Nach dem Krieg verbrachte sie viel Zeit mit der Rekonstruktion ihrer Ghettokunst. Dazu zog sie Fotografien heran, die Tory während einer geheimen Ausstellung angefertigt hatte. In den 1970er Jahren wurden fünf Bleistift-/Tuschezeichnungen von einer litauischen Familie entdeckt und an die Künstlerin zurückgegeben.

Lurie lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 1998 in Tel Aviv.

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