Deportation in die Tötungszentren
1941 beschloss die nationalsozialistische Führung die Umsetzung der „Endlösung“ – den systematischen Massenmord an den europäischen Juden. Im Gegensatz zu Konzentrationslagern, die in erster Linie als Haft- und Zwangsarbeitsstätten dienten, waren Tötungszentren (auch als „Vernichtungslager“ oder „Todeslager“ bezeichnet) fast ausschließlich darauf ausgelegt, den Massenmord an Juden im Rahmen der „Endlösung“ umzusetzen.
Wichtige Fakten
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Deportationen dieser Größenordnung erforderten die Koordination zahlreicher Regierungsstellen und NS-Behörden sowie die Einbindung von SS, Polizei und örtlichen Hilfskräften und Kollaborateuren.
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Die Nazis versuchten, ihre mörderischen Absichten zu verschleiern, indem sie die Deportationen als „Umsiedlung“ der jüdischen Bevölkerung in Arbeitslager im Osten darstellten.
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Güterwagons waren nicht das einzige Transportmittel, das für Deportationen genutzt wurde. Juden aus Deutschland und den annektierten Gebieten wurden in Personenzügen transportiert.
1941 beschloss die nationalsozialistische Führung die Umsetzung der „Endlösung“ – den systematischen Massenmord an den europäischen Juden. Ziel des NS-Regimes war es, die ethnische Neuordnung Osteuropas im Rahmen seiner Rassenpolitik zu erzwingen. Ein Mittel, das hierfür eingesetzt wurde, war der Schienenverkehr. Auf dem gesamten europäischen Festland nutzten die NS-Behörden das Schienennetz, um Juden von ihren Wohnorten vorrangig in das von den Deutschen besetzte Osteuropa zu transportieren bzw. zu deportieren. Als die Deutschen dazu übergegangen waren, Juden in eigens dafür errichteten Tötungszentren systematisch zu ermorden, wurden die Opfer ebenfalls auf dem Schienenweg in diese Einrichtungen deportiert. Wenn keine Züge verfügbar oder die Wegstrecke gering war, wurden die Deportierten auf Lastwagen oder auf dem Fußweg in die Tötungszentren verbracht.
Beamte koordinieren den Massentransport per Zug
Am 20. Januar 1942 kamen Vertreter von SS, NSDAP und Regierung im Berliner Vorort Wannsee zu einer Tagung zusammen. Diese ging als Wannseekonferenz in die Geschichte ein. Anlässlich der Konferenz koordinierten sie die Deportation europäischer Juden in die Tötungszentren (auch als Vernichtungslager bezeichnet) im besetzten Polen. Zu der Zeit waren einige Tötungszentren bereits in Betrieb oder im Bau. Die Teilnehmer der Konferenz schätzten, dass die „Endlösung“ die Deportation und Ermordung von etwa 11 Millionen Juden erfordern dürfte. Bei dieser Schätzung wurden auch jüdische Bewohner von Ländern außerhalb der Kontrolle Deutschlands berücksichtigt, die etwa in Irland, Schweden, in der Türkei oder Großbritannien lebten.
Deportationen dieser Größenordnung erforderten die Koordination zahlreicher deutscher Regierungsbehörden. Dazu gehörten das Reichssicherheitshauptamt (RSHA), das Hauptamt der Ordnungspolizei, das Verkehrsministerium und das Auswärtige Amt. Die Deportationen wurden vom RSHA oder regionalen SS- und Polizeichefs koordiniert und oft auch geleitet. Aufgabe der Ordnungspolizei war es, die Juden zusammenzutreiben und in die Tötungszentren abzutransportieren. Dabei konnten sie auf die Unterstützung durch lokale Hilfskräfte oder Kollaborateure zurückgreifen. Das Verkehrsministerium koordinierte die Zugfahrpläne in Zusammenarbeit mit Abteilung IV B 4 des RSHA, die von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann geleitet wurde. Das Auswärtige Amt verhandelte mit den Achsenpartnern Deutschlands über die Überstellung ihrer jüdischen Bürger in deutschen Gewahrsam.
Die Deutschen bemühten sich, ihre wahren Absichten zu verschleiern. Sie versuchten, die Deportationen als „Umsiedlung“ der jüdischen Bevölkerung in Arbeitslager im Osten darzustellen. Die „Umsiedlung in den Osten“ war jedoch ein Euphemismus der Nazis und bedeutete in der Realität den Transport in die Tötungszentren und den anschließenden Massenmord.
In den Wagons
Für die Deportationen wurden sowohl Güter- als auch Passagierwagons eingesetzt. Um die deutsche Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es sich lediglich um eine Umsiedlung handelte, wurden die meisten Juden aus dem Deutschen Reich in Personenzügen in den Osten gebracht. Den Juden im besetzten Osten erging es weitaus schlechter. Sie bekamen im Allgemeinen weder Lebensmittel noch Wasser während des langen Transports, auch wenn sie tagelang an den Gleisen auf das Eintreffen anderer Züge warten mussten. Die Deportierten wurden in völlig überfüllte Güterwagons eingepfercht. Im Sommer mussten sie bei größter Hitze ausharren, während im Winter eisige Temperaturen herrschten. Abgesehen von Eimern gab es keinerlei sanitäre Vorrichtungen. Der Gestank von Urin und Kot verstärkte die Erniedrigung und das Leid der Menschen zusätzlich. Da weder Lebensmittel noch Wasser oder eine ausreichende Luftzufuhr vorhanden waren, waren viele bereits tot, noch bevor der Zug sein Ziel erreichte. Bewaffnete Polizisten oder Militär begleiteten die Transporte. Sie hatten den Befehl, jeden zu erschießen, der zu fliehen versuchte.
Die Opfer
Zwischen Dezember 1941 und Juli 1942 errichteten SS- und Polizeibeamte fünf Tötungszentren im besetzten Polen. Diese befanden sich in Chełmno, Bełżec, Sobibór, Treblinka II (Treblinka I war ein Zwangsarbeiterlager für Juden) und Auschwitz-Birkenau, auch bekannt als Auschwitz II. Im Bezirk Lublin des Generalgouvernements (Teil des besetzten Polens, der nicht direkt annektiert war) leiteten und koordinierten SS- und Polizeibehörden die Deportationen nach Bełżec, Sobibór und Treblinka im Rahmen der „Aktion Reinhard“. In den fünf Tötungszentren wurden fast 2,7 Millionen Juden von den Deutschen getötet.
Bełżec
Die Opfer in Bełżec waren hauptsächlich Juden aus dem südlichen und südöstlichen Polen. Unter ihnen befanden sich auch Juden, die zwischen Oktober 1941 und dem Spätsommer 1942 aus dem so genannten Großdeutschen Reich in den Bezirk Lublin deportiert worden waren. Das Großdeutsche Reich umfasste Deutschland, Österreich, das Sudetenland sowie das Protektorat Böhmen und Mähren.
Sobibór
Die meisten Juden, die nach Sobibór deportiert wurden, kamen aus dem Bezirk Lublin. Im Frühjahr und Sommer 1943 verbrachten die Deutschen auch französische und niederländische Juden nach Sobibór. Im Spätsommer 1943 wurden auch kleinere Gruppen sowjetischer Juden aus Belarus und den litauischen Ghettos deportiert.
Treblinka II
Die Juden aus den Bezirken Warschau und Radom des Generalgouvernements wurden nach Treblinka II deportiert, wo sie von SS und Polizei ermordet wurden. Auch Juden aus dem Verwaltungsbezirk Białystok wurden dorthin deportiert.
Chełmno
Die meisten jüdischen Bewohner des Ghettos Łódź wurden zwischen Januar 1942 und Frühjahr 1943 und dann wieder im Frühsommer 1944 nach Chełmno deportiert. Die überlebenden Roma und Sinti (die als „Zigeuner“ bezeichnet wurden) des Ghettos wurden ebenfalls während dieses Zeitraums nach Chełmno gebracht.
Auschwitz-Birkenau
In den Jahren 1943 und 1944 spielte das Tötungszentrum Auschwitz-Birkenau eine wichtige Rolle für die Nationalsozialisten bei der Umsetzung ihrer Tötungspläne. Ab dem Spätwinter 1943 kamen regelmäßig Züge in Auschwitz-Birkenau an. In den Zügen befanden sich Juden aus nahezu allen von Deutschland besetzten Ländern Europas. Das besetzte Gebiet erstreckte sich im Norden von Norwegen bis in den Süden zur griechischen Insel Rhodos und der türkischen Küste, im Westen von den französischen Pyrenäen bis zum östlichsten Teil des von Deutschland besetzten Polen und zu den baltischen Staaten.
West- und Nordeuropa
Für die Deportation der Juden aus Westeuropa richteten deutsche Beamte und ihre lokalen Kollaborateure Durchgangslager ein. Zu diesen gehörten Drancy in Frankreich, Westerbork in den Niederlanden und Mechelen (Malines) in Belgien. Etwa 75.000 Juden wurden aus Frankreich deportiert. Mehr als 65.000 von ihnen wurden über Drancy nach Auschwitz-Birkenau und etwa 2.000 nach Sobibór gebracht. Aus den Niederlanden wurden mehr als 100.000 Juden deportiert. Fast alle von ihnen waren zunächst in Westerbork untergebracht, danach wurden etwa 60.000 nach Auschwitz und mehr als 34.000 nach Sobibór transportiert. Zwischen August 1942 und Juli 1944 wurden in 28 Zügen mehr als 25.000 Juden von Belgien über Mechelen nach Auschwitz-Birkenau transportiert.
Im Herbst 1942 nahmen die Deutschen rund 770 norwegische Juden gefangen und deportierten sie per Schiff und Zug nach Auschwitz. Im September 1943 wurde der Versuch unternommen, die dänischen Juden zu deportieren. Dieser scheiterte jedoch größtenteils. Alarmiert vom geplanten Abtransport unterstützten dänische Widerstandskämpfer die Massenflucht dänischer Juden in das neutrale Schweden. Von den etwa 7.500 in Dänemark lebenden Juden wurden letztlich 470 nach Theresienstadt deportiert.
Südeuropa
In Südeuropa deportierten die Deutschen Juden aus Griechenland, Italien und Kroatien. Zwischen März und August 1943 deportierten SS- und Polizeibeamte mehr als 40.000 Juden aus dem nordgriechischen Saloniki nach Auschwitz-Birkenau. Die meisten von ihnen wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft im Lager vergast. Nachdem die Deutschen im September 1943 Norditalien besetzt hatten, deportierten sie rund 8.000 Juden. Die meisten von ihnen kamen nach Auschwitz-Birkenau. Auf der Grundlage einer Vereinbarung mit ihrem kroatischen Achsenpartner nahmen deutsche Beamte rund 7.000 kroatische Juden in Gewahrsam und deportierten sie nach Auschwitz-Birkenau.
Bulgarische Gendarmen und Militäreinheiten verhafteten und deportierten rund 7.000 jüdische Einwohner des von Bulgarien besetzten Mazedoniens, das früher zu Jugoslawien gehörte, über ein Durchgangslager in Skopje. Die bulgarischen Behörden hielten rund 4.000 Juden aus dem von Bulgarien besetzten Thrakien an zwei Sammelstellen in Bulgarien fest, um sie anschließend in deutschen Gewahrsam zu übergeben. Insgesamt überführte Bulgarien mehr als 11.000 Juden in das von Deutschland kontrollierte Gebiet. Die deutschen Behörden deportierten die Juden anschließend nach Treblinka II, wo sie in den Gaskammern ermordet wurden.
Mitteleuropa
Im Oktober 1941 gingen die deutschen Behörden dazu über, Juden aus dem Großdeutschen Reich zu deportieren. Zu dieser Zeit befand sich der Bau der Tötungszentren noch in der Planungsphase. Zwischen dem 15. Oktober 1941 und dem 4. November 1941 deportierten die deutschen Behörden 20.000 Juden in das Ghetto Łódź. Zwischen dem 8. November 1941 und Oktober 1942 deportierten sie rund 49.000 Juden aus dem Großdeutschen Reich nach Riga, Minsk, Kaunas und Raasiku im Reichskommissariat Ostland. Zum Reichskommissariat Ostland gehörte das besetzte Weißrussland (Belarus), Litauen, Lettland und Estland. Der Großteil der Deportierten wurde bei der Ankunft von SS- und Polizeibeamten erschossen.
Zwischen März und Oktober 1942 deportierten die NS-Behörden weitere rund 63.000 deutsche, österreichische und tschechische Juden in das Ghetto Warschau sowie an weitere Standorte des Bezirks Lublin. Dazu gehörten auch die Durchgangslager Krasnystaw und Izbica sowie das Tötungszentrum Sobibór. Deutsche Juden der Ghettos Łódź und Warschau wurden später zusammen mit polnischen Juden nach Chełmno, Treblinka II und 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert.
Der erste Transport von Juden aus dem Großdeutschen Reich direkt nach Auschwitz kam am 18. Juli 1942 aus Wien. Von Ende Oktober 1942 bis Januar 1945 deportierten die deutschen Behörden mehr als 71.000 der noch im Großdeutschen Reich verbliebenen Juden nach Auschwitz-Birkenau. Ältere oder prominente Juden aus Deutschland, Österreich, dem Protektorat Böhmen und Mähren und Westeuropa wurden in das Ghetto Theresienstadt deportiert, das auch als Transitlager für Deportationen weiter östlich, meist nach Auschwitz-Birkenau, diente.
Zwischen Mai und Juli 1944 deportierten ungarische Gendarmen in Zusammenarbeit mit deutschen Sicherheitspolizisten fast 440.000 Juden aus Ungarn. Die meisten von ihnen kamen nach Auschwitz-Birkenau. Mit Unterstützung der slowakischen Behörden deportierten die Deutschen mehr als 50.000 slowakische Juden in die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Majdanek. Die slowakischen Juden waren die ersten, die für die Gaskammern in Birkenau selektiert wurden. Im Herbst 1944 deportierten deutsche SS- und Polizeikräfte während des slowakischen Aufstands 10.000 slowakische Juden nach Auschwitz-Birkenau. Dies war die letzte große Deportation in ein Tötungszentrum.
Zwischen März 1942 und November 1943 deportierten SS und Polizei rund 1.526.000 Juden, meist per Zug, in die Tötungszentren Bełżec, Sobibór und Treblinka der Aktion Reinhard. Zwischen Dezember 1941 und März 1943 und dann wieder im Juni und Juli 1944 deportierten SS- und Polizeibeamte rund 167.000 Juden und etwa 4.300 Roma in das Tötungszentrum Chełmno. Der Transport der Opfer erfolgte per Zug, Lastwagen oder zu Fuß. Zwischen März 1942 und Dezember 1944 deportierten die deutschen Behörden rund 1,1 Millionen Juden und 23.000 Roma und Sinti nach Auschwitz-Birkenau, die meisten davon per Zug.
Weniger als 500 Menschen überlebten die Tötungszentren der „Aktion Reinhard“. Nur sehr wenige Juden überlebten den Transport nach Chełmno. Etwa 100.000 Juden überlebten das Lager Auschwitz-Birkenau, weil sie bei ihrer Ankunft zur Zwangsarbeit ausgewählt worden waren.