1919 photograph showing World War I destruction in Ypres, Belgium.

Erster Weltkrieg: Folgezeit

Aushöhlung der Demokratie in Deutschland

In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg war es zu einer starken Abwertung der Reichsmark gekommen, die 1923 in einer gigantischen Hyperinflation gipfelte. Zu den Ursachen zählten unter anderem die belastenden Reparationszahlungen, die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg auferlegt worden waren, sowie die allgemeine Inflation in Europa in den 1920er Jahren, die ebenfalls eine direkte Folge des auch auf materieller Ebene katastrophalen Krieges waren. Diese hyperinflationäre Phase führte in Verbindung mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise (ab 1929) dazu, dass die deutsche Wirtschaft ihre Stabilität nahezu gänzlich einbüßte. Die privaten Ersparnisse der Mittelschicht waren aufgezehrt, es herrschte massive Arbeitslosigkeit.

Das wirtschaftliche Chaos verstärkte die sozialen Unruhen und destabilisierte die ohnehin angeschlagene Weimarer Republik. Als Weimarer Republik bezeichnet man die deutsche Regierung zwischen dem Ende der Kaiserzeit (1918) und dem Beginn des Nationalsozialismus (1933).

Siehe Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs und Aufstieg des Nationalsozialismus, 1918-1933 (externer Link in englischer Sprache).

Die Bemühungen der westeuropäischen Mächte, Deutschland politisch zu isolieren, hatten zur Folge, dass auch die demokratischen Führer des Landes untergraben und isoliert wurden. Viele Deutsche waren der Meinung, dass das Ansehen Deutschlands durch Remilitarisierung und Expansion wiederhergestellt werden sollte.

Die sozialen und wirtschaftlichen Turbulenzen nach dem Ersten Weltkrieg begünstigten die Entstehung zahlreicher rechtsradikaler Parteien in der Weimarer Republik. Die harten Bedingungen des Versailler Vertrages machten viele in der Bevölkerung anfällig für die These, die „Novemberverbrecher“ seien Deutschland in den Rücken gefallen. Mit „Novemberverbrechern“ waren diejenigen gemeint, die an der Bildung der neuen Weimarer Regierung und an der Vermittlung des Friedens mitgewirkt hatten, den sich die Deutschen zwar sehnlichst gewünscht hatten, der aber mit dem Versailler Vertrag katastrophale Folgen für sie hatte.

Viele Deutsche vergaßen, dass sie dem Sturz des Kaisers applaudiert, die parlamentarisch-demokratischen Reformen zunächst begrüßt und den Waffenstillstand bejubelt hatten. Für sie zählte nur, dass die deutschen Linken – ihrer gemeinsamen Vorstellung nach Sozialisten, Kommunisten und Juden – die Würde Deutschlands für einen schändlichen Frieden aufgegeben hatten, obwohl keine feindliche Armee je einen Fuß auf deutschen Boden gesetzt hatte. Diese so genannte Dolchstoßlegende war von ehemaligen deutschen Militärführern ins Leben gerufen und verbreitet worden. Tatsächlich hatte die oberste Heeresleitung 1918 jedoch sehr wohl erkannt, dass das deutsche Heer am Ende seiner Kräfte war und dem Kaiser angeraten, ein Friedensabkommen zu schließen. Die Dolchstoßlegende begünstigte die Diskreditierung sozialistischer und liberaler Kreise in Deutschland, die sich am meisten dazu verpflichtet fühlten, den Versuch einer Demokratie in Deutschland fortzusetzen.

,,Vernunftrepublikaner" wie der Historiker Friedrich Meinecke und der Nobelpreisträger Thomas Mann hatten sich zunächst gegen demokratische Reformen gewehrt. Sie sahen sich nun gezwungen, die Weimarer Republik als geringstes Übel zu unterstützen. Sie versuchten, ihre Landsleute von einer Polarisierung zur radikalen Linken und Rechten abzuhalten. Die deutsche nationalistische Rechte versprach, den Versailler Vertrag notfalls mit Gewalt zu revidieren. Derartige Versprechen fanden in einflussreichen Kreisen Anklang. Nach der bolschewistischen Revolution in Russland und den kurzlebigen kommunistischen Revolutionen bzw. Putschen in Ungarn (Bela Kun) und in Deutschland selbst (wie dem Spartakusaufstand) fühlten sich viele vom Kommunismus bedroht. Diese Furcht sorgte für einen deutlichen Rechtsruck der politischen Stimmung in Deutschland.

Adolf Hitler addresses an SA rally, Dortmund, Germany, 1933

Adolf Hitler spricht auf einer SA-Kundgebung. Dortmund im Jahr 1933.  

Nachweise:
  • US Holocaust Memorial Museum, courtesy of William O. McWorkman

Akteure der politischen Linken wurden wegen Anstiftung zu politischen Unruhen zu hohen Haftstrafen verurteilt. Rechtsradikale Aktivisten wie Adolf Hitler hingegen, dessen nationalsozialistische Partei im November 1923 mit dem Bürgerbräu-Putsch versucht hatte, die bayerische Regierung zu stürzen und zur „nationalen Revolution“ anzustiften, was ein Kapitalverbrechen war, wurden kaum belangt. Hitler verbüßte nur neun Monate seiner fünfjährigen Haftstrafe wegen Hochverrats. Während dieser Haft schrieb er sein politisches Manifest Mein Kampf.

Die Schwierigkeiten, die sich aus den sozialen und wirtschaftlichen Unruhen nach dem Ersten Weltkrieg und den strengen Friedensauflagen ergaben, sowie die pure Angst vor einer möglichen kommunistischen Machtübernahme im deutschen Bürgertum trugen dazu bei, dass pluralistische demokratische Lösungen in der Weimarer Republik untergraben wurden. Diese Ängste und Herausforderungen verstärkten auch die Sehnsucht der Öffentlichkeit nach einer autoritären Staatsführung, eine Art von Führung, welche die deutschen Wähler schließlich unglücklicherweise in Adolf Hitler und der NSDAP fanden. Ähnliche Bedingungen kamen auch in Osteuropa rechtsautoritären und totalitären Systemen zugute, allen voran in den Verliererstaaten des Ersten Weltkriegs. Sie führten schließlich dazu, dass gewaltsamer Antisemitismus und die Diskriminierung nationaler Minderheiten in der gesamten Region in einem stärkeren Maß geduldet und toleriert wurden.

Kulturelle Verzweiflung

Die massive Zerstörung und katastrophalen menschlichen Verluste während des Ersten Weltkriegs führten in vielen ehemaligen Kriegsteilnehmernationen zu einer Stimmungslage, die sich wohl am besten mit kultureller Verzweiflung beschreiben lässt. Im Bewusstsein der Menschen, welche die Verwüstungen eines verheerenden vierjährigen Krieges miterlebt hatten, machten sich Enttäuschung über die internationale und nationale Politik und ein Gefühl des Misstrauens gegenüber Politikern und Regierungsbeamten breit. Die meisten europäischen Länder hatten nahezu eine ganze Generation junger Männer verloren.

Einige Autoren verherrlichten die Gewalt des Krieges und den nationalen Kontext des Konflikts, etwa der deutsche Schriftsteller Ernst Jünger in seinem 1920 erschienenen Werk Stahlgewitter. Ganz anders ging Erich Maria Remarque in seinem 1929 erschienenen Meisterwerk Im Westen nichts Neues an das Thema heran. In seiner lebendigen und realistischen Darstellung des Grabenkriegs fing er die Erfahrungen der Frontsoldaten ein und brachte die Entfremdung der „verlorenen Generation“ zum Ausdruck. Einer Generation, die aus dem Krieg zurückkehrte und nicht mehr in der Lage war, sich in der Zeit des Friedens zurechtzufinden, und die von der Bevölkerung an der Heimatfront, welche die Schrecken des Krieges nie aus erster Hand hatte erleben müssen, auf tragische Weise missverstanden wurde.

In einigen Kreisen festigten sich durch die Distanzierung und Desillusionierung gegenüber Politik und militärischem Konflikt pazifistische Gesinnungen. In den Vereinigten Staaten sprach sich die öffentliche Meinung für eine Rückkehr zum Isolationismus aus. Dieses Stimmungsbild in der Bevölkerung war ausschlaggebend dafür, dass sich der US-Senat weigerte, den Versailler Vertrag zu ratifizieren und die Mitgliedschaft der USA in dem von Präsident Wilson vorgeschlagenen Völkerbund zu billigen. Die soziale Entfremdung und politische Desillusionierung einer bestimmten Generation von Deutschen wurde im Roman Kleiner Mann, was nun? von Hans Fallada festgehalten. Darin wird die Geschichte eines deutschen Normalbürgers beschrieben, der in die Wirren von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit gerät und gleichermaßen anfällig für die Forderungen der radikalen politischen Linken und Rechten ist. Falladas Roman aus dem Jahr 1932 zeichnete ein genaues Bild Deutschlands zu der damaligen Zeit: ein Land, das in wirtschaftlichen und sozialen Unruhen steckte und an den entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums polarisiert war.

Viele Wirren der Zwischenkriegszeit gehen auf den Ersten Weltkrieg und seine Nachwirkungen zurück. Der Weg, den Deutschland schließlich einschlug, sollte in den darauf folgenden Jahren zu einem noch viel verheerenderen Krieg führen.

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