Beschwichtigungspolitik der Briten gegenüber Hitler und dem NS-Regime
„Appeasement“, also die Beschwichtigung, ist eine diplomatische Strategie. Sie beinhaltet das Einräumen von Zugeständnissen zugunsten einer aggressiven externen Macht, mit dem Ziel, Krieg zu vermeiden. Diese Strategie wird am häufigsten mit dem britischen Premierminister Neville Chamberlain in Verbindung gebracht, der von 1937 bis 1940 im Amt war. In den 1930er Jahren verfolgte die britische Regierung eine Politik der Beschwichtigung gegenüber dem NS-Staat. Heute gilt diese Politik in der Regel als Misserfolg, da sie den Zweiten Weltkrieg nicht verhindert hat.
Wichtige Fakten
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Beschwichtigung war eine pragmatische Strategie. Sie spiegelte die internen Belange Großbritanniens und die diplomatische Philosophie der 1930er Jahre wider.
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Das Münchner Abkommen ist das bekannteste Beispiel für eine solche Beschwichtigung. Es wurde 1938 von den Vertretern Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und Italiens unterzeichnet.
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Am Ende war die Strategie jedoch nicht geeignet, Adolf Hitler und die Nationalsozialisten zu stoppen. Denn sie waren fest entschlossen, Gebiete einzunehmen und Krieg zu führen.
Beschwichtigung (appeasement) ist eine diplomatische Strategie. Sie beinhaltet das Einräumen von Zugeständnissen zugunsten einer aggressiven externen Macht, mit dem Ziel, Krieg zu vermeiden. Das bekannteste Beispiel für eine solche Beschwichtigungspolitik ist die britische Außenpolitik Großbritanniens gegenüber Deutschland in den 1930er Jahren. Beschwichtigung wird im kollektiven Gedächtnis vor allem mit dem britischen Premierminister Neville Chamberlain in Verbindung gebracht, der von 1937 bis 1940 im Amt war. Die Beschwichtigung des NS-Regimes war allerdings auch die Politik seiner Vorgänger James Ramsay MacDonald (1929–1935) und Stanley Baldwin (1935–1937).
In den 1930er Jahren verfolgten die britischen Politiker diese Strategie deshalb, weil sie einen erneuten Weltkrieg verhindern wollten. Der Erste Weltkrieg (1914–1918) hatte Europa verwüstet und Millionen Menschenleben gefordert. Katastrophale Verluste während des Krieges hatten zur Folge, dass sich Großbritannien mental, wirtschaftlich und militärisch nicht in der Lage sah, einen weiteren Krieg in Europa zu führen.
Die politische Haltung der Briten gegenüber den Nationalsozialisten war vor allem wegen der internationalen Position Großbritanniens von Bedeutung. In den 1920er und 1930er Jahren war Großbritannien eine der globalen Großmächte, wenn nicht gar die wichtigste Großmacht. 25 % der Weltbevölkerung wurden vom britischen Weltreich, dem British Empire, regiert. In den 1930er Jahren befanden sich 20 % der globalen Landmasse unter britischer Kontrolle.
Bedrohung des Friedens in Europa durch die Nationalsozialisten
Als Führer des NS-Regimes (1933–1945) verfolgte Adolf Hitler eine aggressive Außenpolitik. Er setzte sich über Landesgrenzen und Vereinbarungen hinweg, die infolge des Ersten Weltkriegs festgelegt worden waren.
Die Nationalsozialisten wollten die Stellung Deutschlands als Großmacht wiederherstellen, indem sie den Vertrag von Versailles zu kippen versuchten. Der Vertrag sollte die wirtschaftliche und militärische Handlungsfähigkeit Deutschlands einschränken. Deutschland wurde im Vertrag von Versailles die Verantwortung für den Ersten Weltkrieg zugeschrieben, weshalb das Land zur Zahlung von Reparationen verpflichtet wurde. Der Vertrag reduzierte außerdem das deutsche Territorium und begrenzte die Größe des Militärs. Absicht der Nationalsozialisten war es, Deutschland militärisch wieder aufzurüsten und die verlorenen Gebiete zurückzuerobern. Das bloße Kippen des Versailler Vertrags war Hitler und den Nationalsozialisten aber nicht genug. Ihre Vision war es, alle Deutschen in einem von den Nationalsozialisten regierten Reich zu vereinen und dafür ,,Lebensraum" in Osteuropa zu erobern.
Im Jahr 1933 gingen die außenpolitischen Ansichten Hitlers bereits eindeutig aus seinen Reden und Schriftstücken hervor. Nichtsdestotrotz war er in den ersten Jahren des Regimes bemüht, sich als dem Frieden verschriebenes Staatsoberhaupt darzustellen.
Britische Kenntnis der außenpolitischen Pläne der Nationalsozialisten
1933 waren der britischen Regierung Hitlers Anschauungen zu Außenpolitik und Krieg bewusst. Im April des Jahres schickte der britische Botschafter in Deutschland eine Depesche nach London. Darin fasste er zur Veranschaulichung der Lage den Inhalt der politischen Abhandlung und Autobiografie Hitlers Mein Kampf zusammen. Aus dem Bericht ging ganz klar das Bestreben Hitlers hervor, die Landesgrenzen in Europa mittels Krieg und Militärgewalt neu zu ordnen.
Die britischen Verantwortlichen waren unsicher, ob sie Hitlers Manifest ernst nehmen und wie sie darauf reagieren sollten. Einige spekulierten, Hitlers Prioritäten könnten sich ändern, sobald er Regierungsverantwortung übernehme. Insbesondere Neville Chamberlain war davon überzeugt, dass die britische Regierung mit Hitler ehrlich verhandeln könne. Chamberlain hoffte, die Nationalsozialisten von einem Krieg abhalten zu können, indem seine Regierung Hitler beschwichtigte, also auf einige seiner Forderungen einging.
Andere warnten davor, Hitler nach den üblichen Gepflogenheiten internationaler Diplomatie zu vertrauen. Bekanntester Vertreter dieser Gegenmeinung war Winston Churchill. Churchill war ein bedeutender politischer Wortführer und in den 1930er Jahren Mitglied des Parlaments. Er warnte mehrfach öffentlich vor den Gefahren, die von Hitler und dem Faschismus für Großbritannien ausgingen.
Weshalb entschied sich Großbritannien Anfang der 1930er Jahre für eine Politik der Beschwichtigung?
Es waren verschiedene Gründe, welche die britische Regierung dazu veranlassten, eine Politik der Beschwichtigung zu verfolgen und zu versuchen, einen Krieg um jeden Preis zu vermeiden. Zu den wichtigsten Faktoren gehörten innenpolitische Bedenken, die Imperialpolitik und andere geopolitische Überlegungen.
Innenpolitische Bedenken Großbritanniens
Die britische Appeasement-Politik war zum Teil innenpolitischen Herausforderungen geschuldet. Dazu gehörten wirtschaftliche Probleme und eine allgemeine Grundeinstellung gegen einen weiteren Krieg. In den 1930er Jahren führte die in Großbritannien als „Great Slump“ bezeichnete Weltwirtschaftskrise zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit. Aufgrund der wirtschaftlichen Not der Bevölkerung kam es zu Versammlungen und Demonstrationen auf den Straßen.
Die Menschen waren vielerorts gegen einen Krieg und befürworteten die Politik der Beschwichtigung. Auch in den einflussreichsten Kreisen der britischen Gesellschaft war man für diese Strategie. Dazu gehörten etwa prominente Wirtschaftsführer und die königliche Familie. Der britische Nachrichtensender BBC (British Broadcasting Company) und The Times sprachen sich öffentlich für diese Politik aus. Die meisten Führer der konservativen Partei unterstützten sie ebenfalls, mit Ausnahme von Winston Churchill.
Britische Imperialpolitik
Die britische Imperialpolitik prägte ebenfalls die Haltung der britischen Regierung gegenüber Krieg und Beschwichtigung. Wohlstand, Macht und die nationale Identität der Briten waren vom Empire abhängig, das aus Herrschaftsgebieten (sogenannte Dominions) und Kolonien bestand. Während des Ersten Weltkriegs versorgte das Empire die Briten mit Ressourcen und Truppen. Im Fall eines weiteren Krieges durfte das Empire daher nicht verlieren. Die Unterstützung für die Imperialpolitik war in den 1930er Jahren jedoch weniger gewiss als noch zu Beginn des Ersten Weltkriegs.
In den 1930er Jahren befürchteten britische Politiker, dass ein Krieg die Beziehungen zwischen Großbritannien und den Dominions gefährden könnte. Zu den Dominions gehörten Australien, Kanada, Neuseeland und Südafrika. Nach dem Ersten Weltkrieg war diesen Gebieten ein hohes Maß an Unabhängigkeit innerhalb des British Empire eingeräumt worden. Die Politiker waren sich nicht sicher, ob im Falle eines weiteren Krieges mit der einheitlichen Unterstützung der Dominions gerechnet werden konnte.
Sie befürchteten zudem, dass ein Krieg Dekolonialisierungsbewegungen in den britischen Kolonien hervorrufen könnte. Zu den britischen Kolonien gehörten Barbados, Indien, Jamaika und Nigeria. Aus Sicht der Briten hätte eine Dekolonialisierung verheerende Auswirkungen gehabt. Sie hätte den Verlust der Kolonien und ihrer Ressourcen und Rohstoffe bedeutet. Die britische Regierung befürchtete, dass ihnen die Kolonien in einem Friedensvertrag abgesprochen werden könnten, sollte das Land den Krieg verlieren.
Sonstige geopolitische Überlegungen
Die britische Politik der Beschwichtigung war auch eine Reaktion auf die diplomatische Landschaft der 1930er Jahre. Die stärksten internationalen „Player“ der damaligen Zeit (USA, Italien, die Sowjetunion und Frankreich) stellten eigene innenpolitische und geopolitische Überlegungen an. Und der Völkerbund, der eigens eingerichtet wurde, um Krieg zu verhindern, erwies sich angesichts der Aggression durch das NS-Regime und das faschistische Italien als ineffektiv.
Beschwichtigung der Nationalsozialisten durch die Briten angesichts der deutschen Wiederaufrüstung, 1933–1937
Zwischen 1933 und 1937 reagierte die britische Regierung auf die Wiederaufrüstung Deutschlands mit Beschwichtigung. Ab Herbst 1933 ließen die Nationalsozialisten durch eine Reihe von Handlungen erkennen, dass sie nicht die Absicht hatten, sich an bestehende Verträge zu halten oder die nach dem Ersten Weltkrieg festgelegten Grenzen zu akzeptieren. Noch im Jahr 1933 verließ das Deutsche Reich die internationale Genfer Abrüstungskonferenz und kündigte seine Mitgliedschaft im Völkerbund auf. 1935 kündigte das NS-Regime offiziell die Schaffung einer deutschen Luftwaffe und die Wiedereinführung der Wehrpflicht an. 1936 wurde das Rheinland, im Westen Deutschlands an der Grenze zu Frankreich, von den Nationalsozialisten remilitarisiert.
Viele Mitglieder der internationalen Gemeinschaft waren durch diese Maßnahmen beunruhigt und machten sich Sorgen bezüglich der zukünftigen Absichten Hitlers. Es wurde jedoch kein Konsens darüber erzielt, wie man am besten auf die Außenpolitik Hitlers reagieren sollte.
Die britischen Regierungen unter Premierminister Ramsay MacDonald (1929–1935) von der Labour-Partei und Premierminister Stanley Baldwin (1935–1937) von der Conservative Party sahen davon ab, Deutschland wegen Verletzung internationaler Abkommen zu sanktionieren oder zu bestrafen. Stattdessen wollten sie mit den Deutschen verhandeln. Im Juni 1935 unterzeichneten die Briten das britisch-deutsche Flottenabkommen mit Deutschland. In dem Abkommen wurde Deutschland gestattet, seine Kriegsmarine erheblich über das im Versailler Vertrag zugestandene Maß hinaus auszubauen. Die britischen Staatsoberhäupter hofften, durch das Abkommen ein Wettrüsten der Flotten Großbritanniens und Deutschlands verhindern zu können.
Neville Chamberlain und die Beschwichtigung angesichts der territorialen Aggression der Nationalsozialisten, 1938
Im Mai 1937 wurde Neville Chamberlain zum Premierminister ernannt. Er hoffte, sich in dieser Eigenschaft vorwiegend mit Innenpolitik und nicht mit internationalen Problemen zu beschäftigen. Letzteres ließ sich jedoch nicht lange vermeiden.
Deutschland annektiert Österreich
Im März 1938 annektierte Deutschland Österreich und verstieß damit auf eklatante Weise gegen die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg. Die Annektierung Österreichs war ein Signal der Nationalsozialisten, das unmissverständlich klar machte, dass sie die Souveränität und die Grenzen ihres Nachbarn schlicht ignorierten. Dennoch nahm die internationale Gemeinschaft den „Anschluss“ hin. Keine ausländische Regierung intervenierte. Man hoffte, dass der deutsche Expansionismus damit sein Ende finden würde.
Einige verurteilten die Entscheidung, nicht in Österreich einzugreifen. Anlässlich einer Rede im House of Commons im März 1938 warnte Churchill davor, dass die Annektierung Österreichs lediglich der erste Akt der territorialen Aggression der Nationalsozialisten sei. Er sagte:
„Die Tragweite der [Annektierung Österreichs] lässt sich nicht übertreiben. Europa sieht sich vor einem Angriffsplan, sorgfältig durchdacht und zeitlich berechnet, der sich von Stufe zu Stufe entwickelt, und es steht nur eine Wahl offen ... sich entweder wie Österreich zu unterwerfen oder wirksame Maßnahmen zu ergreifen ... der Widerstand wird hart werden ... dennoch bin ich davon überzeugt, [dass die Regierung sich entschließen wird zu handeln] ... um den Frieden in Europa zu erhalten, und wenn er nicht erhalten werden kann, dann die Freiheit der Nationen Europas zu erhalten. Wenn wir weiterhin warten, ... [w]ie viele unserer Freunde werden sich uns entfremden, wie viele mögliche Verbündete werden wir verschwinden sehen?“
In den folgenden Monaten setzte sich Churchill bei den europäischen Nationen für den Aufbau einer militärischen Verteidigungsallianz ein. Auf viele wirkten Churchills Ablehnung der Beschwichtigungspolitik und seine wiederholten Warnungen vor Hitler kriegslustig und paranoid. Sein Bestehen darauf, Großbritannien müsse sich auf einen Krieg vorbereiten, machte ihn bei seinen konservativen Parteikollegen, welche die Politik Chamberlains unterstützten, nicht gerade beliebt.
Die Sudentenkrise
Alle Hoffnungen, Deutschland würde sich mit Österreich zufriedengeben, sollten sich schon bald darauf zerschlagen. Hitlers Augenmerk war auf das Sudetenland gerichtet, ein weitestgehend deutschsprachiges Gebiet in der Tschechoslowakei. Im Sommer 1938 inszenierten die Nationalsozialisten eine Krise im Sudetenland. Sie behaupteten fälschlicherweise, dass die in der Region lebenden Deutschen von der tschechoslowakischen Regierung unterdrückt würden. In Wahrheit ging es den Nationalsozialisten darum, die Region zu annektieren, weshalb sie einen Vorwand brauchten, um das Sudetenland zu besetzen. Hitler drohte mit Krieg, sollten die Tschechoslowaken die Abtretung des Territoriums an Deutschland verweigern.
Die Briten betrachteten den deutsch-tschechoslowakischen Konflikt als internationale Krise. Österreich war zum Zeitpunkt seiner eigenen Annektierung durch Deutschland diplomatisch isoliert gewesen. Die Tschechoslowakei hingegen hatte wichtige Allianzen mit Frankreich und der Sowjetunion. Somit hatte die Sudentenkrise das Potential, sich zu einem europäischen oder gar weltweiten Krieg auszuweiten.
Chamberlain verhandelt mit Hitler
Im September 1938 stand Europa an der Schwelle zum Krieg. Zu diesem Zeitpunkt schaltete sich Chamberlain persönlich ein. Am 15. September 1938 traf sich Chamberlain mit Hitler in dessen Feriensitz in Berchtesgaden, um mit ihm über seine Forderungen zu verhandeln. Chamberlains Ziel war es, eine diplomatische Lösung zu finden, um Krieg zu vermeiden.
Die Gespräche blieben jedoch ergebnislos. Chamberlain und Hitler trafen sich daher erneut am 22. und 23. September 1938. Im Verlauf dieses zweiten Treffens teilte Hitler Chamberlain mit, dass er das Sudentenland mit oder ohne internationale Zustimmung am 1. Oktober besetzen werde.
Am 27. September hielt Chamberlain eine Rundfunkansprache, in der er seine Haltung zu den Verhandlungen und zum Schicksal des Sudetenlands erläuterte:
„Wie schrecklich, unsinnig und unglaublich wäre es, wenn wir Schützengräben aushöben und Gasmasken anprobierten wegen eines Zanks ganz weit entfernt zwischen Völkern, von denen wir nichts wissen. ... Wie sehr wir uns auch in eine kleine Nation hinein fühlen mögen, die einem großen und mächtigen Nachbarn gegenübersteht, so können wir doch unter keinen Umständen zulassen, das gesamte britische Empire allein für diese Nation in einen Krieg zu verwickeln. Wenn wir kämpfen müssen, dann für größere Probleme als dieses.“
Münchener Abkommen, 29. und 30. September 1938
Am 29. und 30. September 1938 fand in München eine internationale Konferenz statt. Teilnehmer waren Chamberlain, Hitler, der französische Premierminister Édouard Daladier und der italienische Diktator Benito Mussolini. Die tschechoslowakische Regierung wurde nicht zu den Verhandlungen eingeladen. In München verständigten sich Chamberlain und die anderen Teilnehmer auf die Abtretung des Sudentenlands an Deutschland mit Wirkung zum 1. Oktober 1938. Im Gegenzug verzichtete Hitler auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche in Bezug auf den Rest der Tschechoslowakei. Die Kriegsgefahr war vorerst gebannt. Im Namen der Vermeidung eines Krieges missachteten Großbritannien, Frankreich und Italien die Souveränität der Tschechoslowakei offenkundig.
Das Münchner Abkommen gilt als Großbritanniens bislang bedeutendster Akt der Beschwichtigung.
Neville Chamberlain: „Frieden für unsere Zeit“
Chamberlain kehrte triumphierend aus München zurück. In London verkündete er stolz:
„Meine lieben Freunde, zum zweiten Mal in unserer Geschichte ist ein britischer Premierminister aus Deutschland zurückgekehrt und bringt den Frieden mit Ehre. Ich glaube, es ist Frieden für unsere Zeit.“
Chamberlain wird manchmal falsch zitiert mit den Worten „Frieden in unserer Zeit.“
Winston Churchill verurteilt das Münchner Abkommen
Chamberlains Optimismus wurde nicht von allen geteilt. In einer Rede vor dem House of Commons am 5. Oktober 1938 verurteilte Winston Churchill das Münchner Abkommen. Er bezeichnete es als „vollkommene, durch nichts gemilderte Niederlage“ für Großbritannien und den Rest Europas. Churchill kritisierte, dass die Appeasement-Politik Großbritanniens „die Sicherheit und sogar die Unabhängigkeit Großbritanniens und Frankreichs schwer beschädigt und vielleicht sogar in tödliche Gefahr“ gebracht habe.
Das Scheitern des Münchner Abkommens und das Ende der Beschwichtigung
Das Münchner Abkommen vermochte nicht, die territoriale Aggression des NS-Regimes zu stoppen. Im März 1939 spaltete das Regime die Tschechoslowakei auf und besetzte tschechische Gebiete, darunter auch Prag. Reden Hitlers war klar zu entnehmen, dass Polen, Deutschlands Nachbar im Osten, das nächste Ziel der Nationalsozialisten sein sollte.
Die Besetzung der tschechoslowakischen Gebiete durch die Nationalsozialisten gab der britischen Außenpolitik schließlich den entscheidenden Impuls. Die britische Regierung begann allmählich, sich auf einen nunmehr augenscheinlich unausweichlichen Krieg vorzubereiten. Im Mai 1939 verabschiedete das britische Parlament das Military Training Act, ein Gesetz, das eine begrenzte Wehrpflicht vorsah.
Großbritannien bekräftigte darüber hinaus seine Zusicherungen gegenüber Partnern in Europa. Kurz nachdem Deutschland Prag besetzt hatte, sicherten die britische und die französische Regierung Polen offiziell den Schutz seiner Souveränität zu. Dazu unterzeichneten beide Regierungen Ende August 1939 eine entsprechende Garantieerklärung. Die Briten sicherten zu, Polen zur Hilfe zu kommen, sollte das Land von einer ausländischen Macht angegriffen werden. Die Vereinbarung wurde nur wenige Tage vor dem Einmarsch der Deutschen in Polen unterzeichnet.
Großbritannien erklärt Deutschland den Krieg
Am 1. September 1939 fiel Deutschland in Polen ein. Trotz des erst kurz zuvor unterzeichneten britisch-polnischen Vertrags bemühte sich die britische Regierung zunächst ein weiteres Mal um eine diplomatische Lösung, um nicht in den Krieg verwickelt zu werden. Die Nationalsozialisten ignorierten das diplomatische Angebot.
Am 3. September 1939 erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg. Durch die beiden Kriegserklärungen weitete sich die deutsche Invasion in Polen zu einem breit angelegten Krieg aus – der Zweite Weltkrieg hatte begonnen. Am gleichen Tag verabschiedete das britische Parlament ein Gesetz zur allgemeinen Wehrpflicht. Chamberlain wandte sich in einer Rundfunkansprache an die britische Bevölkerung:
„Sie können sich vorstellen, welch derber Rückschlag es für mich ist, zu sehen, dass mein langer Kampf zur Wahrung des Friedens vergeblich war. Dennoch glaube ich nicht, dass ich mehr oder etwas anderes hätte tun können, das erfolgreicher gewesen wäre.
Bis zum Schluss bestand die Wahrscheinlichkeit, eine friedliche und ehrenwerte Einigung zwischen Deutschland und Polen herbeizuführen. Aber Hitler wollte sie nicht. Er war offensichtlich fest entschlossen, Polen unter allen Umständen anzugreifen. ... Sein Akt macht unmissverständlich klar, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieser Mann jemals seine Gepflogenheit aufgeben wird, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen. Er kann nur mit Gewalt aufgehalten werden.“
Die britische Regierung mobilisierte sich so schnell es ging für den Krieg, sowohl im eigenen Land als auch im Empire. Auch eine Seeblockade gegen Deutschland wurde errichtet. Trotz der Tatsache, dass sich Deutschland und Großbritannien offiziell im Krieg befanden, blieben beide Länder militärisch eher passiv. Diese Phase wurde auch als Sitzkrieg oder Seltsamer Krieg bezeichnet.
Der Sitzkrieg endete im Mai 1940 mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Belgien, Frankreich und die Niederlande. Bereits im September 1939 hatten die Briten eine Militäreinheit mit der Bezeichnung British Expeditionary Force (BEF) nach Frankreich entsandt. Diese kämpfte im Mai 1940 an der Seite der belgischen, französischen und niederländischen Truppen gegen die Deutschen. Am Ende zog sich die BEF nach Dünkirchen zurück, wo sie evakuiert wurde.
Im Mai 1940 trat Neville Chamberlain aus gesundheitlichen Gründen als Premierminister zurück. Im November 1940 erlag er einem Krebsleiden. Nach der Abdankung Chamberlains übernahm Winston Churchill das Amt des britischen Premierministers während des Krieges. Er führte das Land durch die ,,Battle of Britain" (im deutschen Sprachgebrauch die „Luftschlacht um England“) und die Bombardierung Londons, die im englischen Sprachgebrauch als „The Blitz“ bezeichnet wird. Er prägte die Politik Großbritanniens während des Krieges und schmiedete die Kriegsallianzen mit den USA und der Sowjetunion.
Während der fünf folgenden Jahre kämpften die Briten in Europa, Nordafrika und im Nahen Osten gegen das NS-Regime und seine Verbündeten. Im Mai 1945 besiegten die alliierten Mächte, zu denen auch die Briten gehörten, Deutschland schließlich.
Die Politik der Beschwichtigung im Rückblick
Die Katastrophen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust waren prägend dafür, wie die Politik der Beschwichtigung in der Welt verstanden wird. Die diplomatische Strategie wird oft als praktisches und moralisches Versagen betrachtet.
Heute wissen wir aus Archivdokumenten, dass die Beschwichtigung Hitlers nahezu zwangsläufig zum Scheitern verurteilt war. Hitler und die Nationalsozialisten waren fest entschlossen gewesen, einen Angriffskrieg zu führen und Gebiete zu erobern. Man sollte sich jedoch bewusst machen, dass die Kritiker Chamberlains oft unter dem Einfluss von später erlangtem Wissen zu ihrem Urteil gelangt sind. Chamberlain, der 1940 starb, konnte höchstwahrscheinlich nicht das Ausmaß der Gräueltaten vorhersehen, die während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis und anderen begangen werden würden.
Fußnoten
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Footnote reference1.
Die Vereinigten Staaten hatten eine Außenpolitik des Isolationismus verfolgt. Das faschistische Italien stand dem NS-Regime nah. Die Sowjetunion war ein kommunistisches Land. Sie war relativ isoliert vom Rest der internationalen Gemeinschaft und hatte ein angespanntes Verhältnis zu Großbritannien. Die Briten fürchteten die Ausbreitung des Kommunismus. Frankreichs Interesse bestand darin, sich gegen das militärisch starke Deutschland zu verteidigen. Die Briten konnten dem französischen Ansatz nicht zustimmen, denn die Franzosen wollten hart gegen Deutschland durchgreifen. Dies, so die Befürchtung der Briten, würde nur einen Krieg heraufbeschwören.